Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
Dieses seltsame Lächeln gestern Abend, als ich ihm sagte, ich sei mit einem Raketenflugzeug abgestürzt , dachte sie. Das muss etwas bedeutet haben.
Darüber hinaus musste sie versuchen, sich mit jemandem anzufreunden, der schon eine ganze Weile im Palast lebte und wusste, was so vor sich ging. Möglicherweise einer der älteren Diener. Die aufgeblasene Adelsgesellschaft würde ihr jedenfalls kaum eine Hilfe sein. Sie wirkte so sehr mit ihrem eigenen Klatsch und Tratsch beschäftigt, dass ihr die wirklich interessanten Vorgänge bestimmt entgingen.
Unvermittelt nahm das Gemurmel im Raum eine aufgeregte Note an. Stühle wurden gerückt und Kleider raschelten. Als Carya den Kopf hob, blieb ihr fast das Stück Weißbrot im Hals stecken, das sie gerade gekaut hatte. Der Prinz hatte den Raum betreten, woraufhin sich alle respektvoll erhoben hatten. Er trug nicht mehr das extravagante Kostüm des gestrigen Abends, sondern hatte es gegen etwas praktischere, wenngleich immer noch sehr kostbar wirkende Kleidung eingetauscht. An der silbernen Halbmaske in seinem Gesicht hatte sich dagegen nichts geändert.
Mit einem Nicken grüßte er die versammelten Höflinge und bat sie, sich wieder zu setzen, bevor er zu Caryas innerem Entsetzen geradewegs auf sie zusteuerte. »Mademoiselle Carya, was für eine Freude, Euch bereits so früh am Morgen zu begegnen. Wenn ein Tag so beginnt, kann es nur ein guter werden.« Er deutete auf den Stuhl ihr gegenüber. »Ihr erlaubt doch.«
Verspätet kam auch sie auf die Beine und deutete einen Knicks an. »Natürlich, Hoheit.«
»Bitte, nehmt Platz, Carya. Wir müssen die Sache nicht noch förmlicher machen, als sie schon ist.« Er setzte sich ebenfalls und befahl dem Diener, ihm etwas zu essen zu bringen.
»Was macht Ihr hier?«, fragte Carya. »Speist Ihr nicht im Hauptflügel mit dem … also mit Eurem Vater?«
»Meinem Vater gehört nicht nur der Hauptflügel, sondern das ganze Schloss und alles Land, das uns umgibt«, antwortete der Prinz. »Daher kann ich mein Frühstück zu mir nehmen, wo es mir beliebt.« Er beugte sich über seinen Teller zu ihr hinüber, und seine Stimme nahm einen verschwörerischen Tonfall an. »Die Tafel meines Vaters vermag doch gelegentlich recht langweilig zu sein. Ich bleibe ihr fern, wann immer es mir erlaubt ist, und vergnüge mich lieber in anderen Teilen des Schlosses. Und im Augenblick erscheint mir kein anderer Ort reizvoller als dieser Raum.« Ein vielsagendes Lächeln unterstrich seine Worte.
Carya spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Licht Gottes , durchfuhr es sie. Der Sohn des Mondkaisers versucht tatsächlich, mich zu umwerben. Seine Gesellschaft war ihr nicht unangenehm. Ganz entgegen dem ersten Eindruck, den sie von ihm auf der Straße nach Paris gewonnen hatte, schien er charmant und unterhaltsam zu sein. Und auch wenn er körperlich eher sehnig als muskulös wirkte, war er alles andere als unattraktiv. Seine Hände waren schön und gepflegt, und in seinen Augen glühten Intelligenz und Leidenschaft.
Aber er ist nicht Jonan! , sagte sie sich. Und er kann ihn auch niemals ersetzen. Das bedeutete, dass sie Vorsicht walten lassen musste. Sie durfte Prinz Alexandre keine falschen Hoffnungen machen, sonst würde er bald mehr von ihr fordern, als sie bereit war, ihm zu geben. Andererseits mochte es gefährlich sein, ihm einfach so die kalte Schulter zu zeigen, denn er war nun mal der Sohn des Mondkaisers, und Carya erinnerte sich gut an die gebrochenen Gestalten, die sich gestern Abend vom Hof geschlichen hatten, als sie eintraf. Vermutlich war das noch das gnädigste Schicksal, das einen erwartete, wenn man die Gunst des Herrschers verlor.
Etwas verspätet entschied sie sich für ein scheues Lächeln. »Ich glaube, Ihr übertreibt. Es muss schönere Orte in diesem Palast geben.«
»Oh, selbstverständlich gibt es schöne Orte. Aber in den letzten Jahren habe ich mich viel zu häufig dort aufgehalten. Irgendwann spürt man, dass man sich an ihnen genug erfreut hat und sie einem langweilig zu werden beginnen. Es drängt einen nach neuen Erfahrungen.«
»Und das bedeutet in Eurem Fall: Ich wechsle mal das Frühstückszimmer?« Eigentlich hatte sie gar nicht so schnippisch sein wollen. Die Worte waren ihr einfach so herausgerutscht.
Zu ihrer Erleichterung lachte Alexandre. Es war das laute, selbstbewusste Lachen eines Mannes, der mächtig genug war, sich nicht darum scheren zu müssen, was seine Umgebung von ihm dachte. Gleichzeitig
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