Im Schatten des Mondlichts - das Erbe
können, eine Katze hätte ihn ins Haus geschleift. Aber mit dieser Karte stand außer Frage, dass Sammy in ihr Elternhaus eingebrochen war und diese Nachricht als Warnung hinterlassen hatte.
Ihrem Vater gegenüber beteuerte sie, sie habe keine Schwierigkeiten. Aber er sei in den vergangenen Jahren öfter Opfer seiner Studenten geworden. Ob in Toilettenpapier eingewickelte Bäume im Garten, Hundekacke auf dem Fußabstreifer oder faulige Eier, die im Vorbeifahren an die Fenster geworfen wurden. Es gab immer jemanden, der mit seinen Noten nicht einverstanden war und seine Energie auf solche Aktionen verschwendete.
Als Pilar ihrem Vater versichert hatte, dass sie keinen Sammy kenne und ihn gefragt hatte, aus welchem Grund er glaube, dieser tote Vogel hätte etwas mit ihr zu tun, hatte er nur den Kopf geschüttelt und hilflos mit den Schultern gezuckt. Die letzten Streiche seiner Studenten lagen schon länger zurück, aber letztlich ließ er sich überzeugen, dass nur, weil er ruhiger geworden war, das nicht unbedingt für seine Studenten gelten müsse.
Pilar hatte eine Kehrichtschaufel geholt, den toten Vogel vom Bett entfernt und ihn in der Mülltonne beerdigt. Die Karte wollte sie zuerst dazuwerfen, doch sie besann sich und steckte sie in ihre Hosentasche. Das Bett würde die Haushaltshilfe neu beziehen.
Während sie noch auf eine Tasse Kaffee geblieben war, brannte die Karte an ihrem Hintern wie Feuer. Sammy war zurück; und er war ihr näher, als es ihr lieb sein konnte.
Die ganze Nacht hatte sie im Stillen darüber nachgegrübelt, wie sie Sammy loswerden konnte. Eventuell wäre es gar nicht so verkehrt, mit ihm zu sprechen. Kai wollte sie sowieso verschwinden lassen und im Grunde hatte sie bereits entschieden, Sammy über seine Vaterschaft zu informieren. Zwar hatte sie noch gezögert, weil sie ihm keinesfalls begegnen wollte, doch eigentlich wäre es einfach. Sie lieferte ihm Kai aus, dafür sollte er ihre Familie in Ruhe lassen. Wenn Kai verschwunden wäre, würde Roman endlich für sie frei sein; ohne Verpflichtung Naomi gegenüber.
Ein einziger Anruf und alles wäre vorbei. Sammy würde mit seinem Sohn untertauchen, und wenn sie es so einfädeln könnte, dass Naomi Roman die Schuld für Kais Verschwinden gab, dann hatte sie freie Fahrt. Vielleicht lieferte Sammy ja doch die Lösung all ihrer Probleme.
*
Naomi träumte von Pilar. Als sie aufwachte, sah sie noch deutlich Pilars toten Körper in Panthergestalt vor Augen. Der Schweiß klebte auf ihrer Haut, und ihr Haar war ebenfalls feucht, als sie es sich aus der Stirn strich.
Nach einigen Minuten normalisierte sich ihr Herzschlag, doch ein Frösteln blieb.
Roman lag neben ihr und schlief. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es ein Uhr morgens war. Die Kämpfe in der vergangenen Nacht hatten offenbar nicht nur Romina erledigt, sondern auch ihr Körper hatte eine Erholungspause eingefordert.
Sie hatte vierzehn Stunden geschlafen, und trotzdem kam es ihr vor, als hätte sie Watte in ihrem Kopf, was ein klares Denken verhinderte.
Die Bilder der toten Pilar jagten durch ihre Gedanken. Tief in ihrem Inneren ahnte sie, dass es sich nicht nur um einen Traum handelte. Das Herzrasen und wie ihr gesamter Körper reagierte, alles lief genauso ab, wie damals, als sie von Roman auf der Lichtung geträumt hatte. Genauso beängstigend, genauso real. Wenn sie sich doch nur an mehr Details aus dem Traum erinnern könnte ...
Im Dunkeln tastete sie nach ihrem Morgenmantel und schlich in die Küche hinunter, um sich eine Tasse Tee zuzubereiten. Nachdem sie nicht zu Abend gegessen hatte, knurrte ihr zu allem Überfluss auch noch der Magen. Sie setzte Wasser auf und ging zum Spülbecken, um sich das verschwitzte Gesicht zu waschen.
Ihre Gedanken kreisten um Pilar. Das Gefühl drohenden Unheils ließ sie nicht los. Vielleicht lag es aber auch nur daran, wie Pilar versuchte, Iker aus ihren Gedanken auszuschließen.
Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.
Naomi brühte den Tee auf und sah in den Kühlschrank. Reste des Abendessens standen in Frischhalteboxen darin. Etwas Warmes bekäme sie nicht hinunter. Ohne in die Boxen zu sehen, griff sie nach dem Käse und bereitete sich ein Käsebrot zu.
»Kannst du nicht schlafen?«
Naomi fuhr herum, und das Käsebrot, das sie in der Hand gehalten hatte, fiel zu Boden.
»Oh. Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich habe nur Geräusche gehört und wollte nachsehen.« Iker kratzte sich verschlafen am Kopf, bevor er sich
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