Im Schatten des Mondlichts - das Erbe
vielleicht einer seiner Söhne vor der Hochzeit nicht weniger bunt.«
»Von wem sprichst du?« Karsten sah sie mit in Falten gelegter Stirn an.
»Du wirst mich für verrückt erklären«, flüsterte Naomi. »Aber ich spreche von Hernán Cortés` Söhnen. Wobei mein Verdacht auf den Erstgeborenen fällt, weil der andere weder der Vater noch der Großvater von Dorothea sein kann. Das ist zeitlich unmöglich.«
»Du meinst den Eroberer Hernán Cortés?«
»Kennst du sonst noch einen?« Ein Kribbeln breitete sich in Naomis Magen aus. »Was weißt du über ihn?«
»Nicht viel. Einer der Professoren hat ihn in einer Vorlesung erwähnt. Zum Semesterende müssen wir eine Klausur in Landeskunde und spanischer Geschichte schreiben. Ich habe kaum zugehört, weil ich ein aktuelles Thema ausgewählt habe, bei dem ich nicht so viel recherchieren muss.« Karsten lehnte sich zurück. »Im Grunde weiß ich gar nichts über ihn.«
»Man müsste in den Stadtarchiven nachsehen. Eventuell fände man auch Informationen auf spanischsprachigen Seiten im Internet.« Unruhig rutschte sie auf ihrem Stuhl hin und her. Um ihre zitternden Hände zu beruhigen, schob Naomi sie unter ihre Schenkel und setzte sich darauf, bevor sie sich erneut zu Karsten beugte, der sie unter hochgezogenen Augenbrauen musterte.
»Warum sagst du nicht, dass du mit man mich meinst?« Karsten kratzte sich am Kinn. »Tut mir leid. Aber ich habe schon mit meiner Klausurarbeit angefangen ...«
»Ich würde dir helfen«, wagte sie einen Vorstoß.
»Und wie stellst du dir das vor?« Karsten schüttelte den Kopf. »Naomi. Ich hab dich wirklich gern und du kannst fast alles von mir verlangen, aber wenn ich diese Klausur versaue, kann ich das restliche Studium vergessen. Mein Spanisch ist noch nicht so gut, dass ich es mir erlauben kann, ohne mit der Wimper zu zucken ein Thema zu verwerfen. Vergiss es.«
»Dann müssen wir dafür sorgen, dass du sie nicht versaust.« Naomi zog ihre rechte Hand hervor, griff nach Karstens, drückte sie und sah ihn flehend an. »Ich bin davon überzeugt, dass Romina und Iker gerne deine Klausur durcharbeiten und verbessern werden.«
Ihr Freund starrte auf den Tisch. Naomi sah ihm an, wie er mit sich rang. Bisher hatte er ihr noch nie eine Bitte abgeschlagen, doch dieses Mal ging es nicht nur um einen kleinen Gefallen; es ging um Karstens Studium, und was sie von ihm verlangte, war weit mehr als ihr zustand.
»Vergiss es. Es war nicht fair von mir, dich darum zu bitten. Tut mir leid, dass ich überhaupt davon angefangen habe. Ich wollte dich eigentlich nur um Hilfe bei der Internetrecherche bitten, oder höchstens darum, mit mir in das Stadtarchiv in Barcelona oder wohin auch immer zu gehen, um dort nach Hinweisen über Martín Cortés` Leben zu suchen.« Naomi räusperte sich. »Willst du deiner egoistischen Freundin dabei helfen?«
Karsten bat den Kellner mit einem Handzeichen um die Rechnung. Ohne sie anzusehen, kramte er einen Fünfeuroschein hervor, legte ihn auf den Tisch und stand auf. »Komm.«
Unsicher erhob sie sich. »Sei nicht sauer, okay?«
Der Kellner räumte den Tisch ab und bedankte sich für das Trinkgeld.
»Ich bin nicht sauer. Und jetzt komm endlich.« Er griff nach ihrer Hand und zog sie aus dem Straßencafé.
»Wohin willst du?«
»Nach Hause. Es wartet jede Menge Arbeit auf uns, und du wirst mir dabei helfen, wie du es versprochen hast.«
Naomi fiel Karsten um den Hals und küsste ihn auf die Wange. »Das vergesse ich dir nie! Du wirst sehen, es wird die beste Arbeit, die du jemals geschrieben hast!«
»Daran zweifle ich gewaltig.« Karsten löste sich aus der Umarmung und schob sie von sich. »Außer, du erlaubst mir, über euch zu schreiben. Die Vollmondsache kann ich ja weglassen.«
Naomi schwieg und blickte betreten auf ihre Schuhe.
»Schau nicht so belämmert. Das war ein Scherz. Mir ist bewusst, dass ich keine Verbindung zu euch erwähnen kann, ohne euch in Gefahr zu bringen.« Karsten hob ihr Kinn an und sah ihr in die Augen. »Lass uns an die Arbeit gehen.«
*
Naomi betrat zum ersten Mal Karstens neue Wohnung. Sie befand sich in einer kleinen Seitenstraße, die von der Rambla abging und war in unmittelbarer Nähe zur Uni. Von seinem alten Studio lag sie kaum zwei Straßen entfernt.
Eine kuschelige Wohnung mit einem französischen Balkon, auf dem selbst der kleine Wäscheständer keinen Platz fand, der aus diesem Grund mitten im Wohnzimmer stand und den halben Raum einnahm. Auf den
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