Im Schatten des Mondlichts - Das Erwachen - Die Fährte - SOMMER-SONDEREDITION (German Edition)
Seitenfenster zu und spähte in den Wagen. »Meine Oma sagt immer, wenn man sich drei Mal über den Weg läuft, sollte man etwas miteinander trinken gehen, weil das Schicksal es so will. Aber ich wäre schon zufrieden, wenn du mich tatsächlich mitnehmen könntest.«
»Spring rein.« Roman klopfte auf den Beifahrersitz.
Naomi ging um den Pick-up und warf noch einen Blick in die Richtung, wo sie vor einem Augenblick noch die Gestalt gesehen hatte. Sie war weg. Roman beugte sich über den Sitz, um ihr die Tür zu öffnen. Naomi stieg ein.
»Deine Oma ist übrigens eine kluge Frau. Wir sollten ihren Ratschlag annehmen oder musst du nach Hause?«
Naomi schüttelte lachend den Kopf. Ihr Puls raste, und ein ungewohntes Kribbeln in der Magengegend verwirrte sie gewaltig. Roman fuhr über die Brücke und bog auf die Stillwater Avenue ein, die direkt am Fluss entlanglief. Naomi konnte es nicht glauben, tatsächlich neben Roman in seinem Wagen durch die Nacht zu brausen. Heute Morgen hatte sie noch nichts von seiner Existenz gewusst, und nun saß sie mit klopfendem Herzen und flauem Magen in seinem Auto. Wohin wollte er überhaupt? Sie hatten das Unigelände hinter sich gelassen und fuhren durch eine Gegend, die Naomi nicht kannte.
Roman schien ihre Gedanken erraten zu haben. »Warst du schon am Pushaw Lake?«
»Die vergangenen zwei Wochen habe ich nur trainiert. Wo genau liegt der See?« Naomi sah zu Roman, der weiterhin konzentriert auf die Straße sah. Rechts und links lagen dichte Wälder.
»Noch ungefähr fünf Meilen nördlich von hier. Dort gibt´s ein kleines Restaurant direkt am See.« Roman drosselte die Geschwindigkeit und bog links ab. »Auf dieser Strecke muss man höllisch aufpassen. Ein Freund von mir hat letzten Herbst hier ganz in der Nähe einen Bären angefahren. Durch den Nebel war die Sicht aber auch ziemlich schlecht.«
»Du machst Witze, oder?« Naomi sah sich erschrocken um.
Roman schüttelte verneinend den Kopf. »Keine Angst. Bären sind im Grunde scheu, außer du brichst in ihr Revier ein.«
»Ich habe keine Angst«, widersprach sie. »Ich jogge regelmäßig durch den Wald.« Er sollte sie keinesfalls für einen Feigling halten, obwohl sie auf die Bekanntschaft mit einem Bären gerne verzichten konnte.
Roman sah zu ihr hinüber. »Solange du in der Nähe von Städten und Dörfern läufst, ist das kein Problem. Aber hier sind wir weiter draußen. An deiner Stelle würde ich so etwas lassen.«
Naomi schielte zu Roman. Sie war sich nicht sicher, ob er sie nicht doch auf den Arm nehmen wollte. In seinem Gesicht fand sie jedoch keine Anzeichen dafür.
Er bog in einen kleinen Waldweg ein. Nach zweihundert Metern parkte er den Wagen vor einem dezent beleuchteten Restaurant. Bis auf die vereinzelten Lichter war weit und breit nur undurchdringliche Dunkelheit. Kein weiterer Wagen; keine Menschenseele. »Da wären wir.«
Später saß Naomi in eine Wolldecke eingekuschelt an einem Tisch direkt am See. Die Tasse mit heißem Kakao wärmte ihre Finger. Der See lag pechschwarz vor ihr; nur der Halbmond warf bizarre Lichtreflexe auf die Wasseroberfläche. Wenn sie genau hinsah, entdeckte sie am gegenüberliegenden Ufer einen zarten Lichtschimmer. Dort musste sich ein Wohnhaus befinden. Mitten im Nirgendwo. Naomi lächelte. Wenn ihre Oma wüsste, wo sie gerade mit einem Fremden war, würde sie einen Herzinfarkt bekommen. Auch wenn sie Roman nicht kannte, hatte sie nicht das Gefühl, mit einem Fremden zusammen zu sein. Auf der Fahrt hatten sie kaum gesprochen. Das Schweigen war jedoch angenehm gewesen, und sie meinte nicht, irgendetwas sagen zu müssen. Sie hätte auch nicht gewusst was. Ihre Nervosität war so übermächtig, dass ihr das Schweigen lieber gewesen war, als sinnloses Geplapper, was sie mit Sicherheit von sich gegeben hätte. Dieses unkontrollierbare Gefühl war schlimmer, als ihre Prüfungsangst. Sie wusste nichts über Roman. Trotzdem fühlte sich alles vertraut und doch neu an.
Das Restaurant gehörte Romans Großonkel Bertram. Es war offiziell geschlossen und würde erst im Juni wieder Gäste bewirten. Roman lud gerade den defekten Fernseher seines Onkels auf die Ladefläche seines Pick-ups. Ein Freund wollte ihn reparieren. Ein Leben so weit weg von allem musste sehr einsam sein. Sie selbst ertrüge es vermutlich nicht. Ohne Fernseher schon gar nicht. Roman trat aus dem Haus und ging auf sie zu.
»Tut mir Leid, dass ich dich so sitzen gelassen habe.« Er legte sich eine Decke um die
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