Im Schatten des Mondlichts - Das Erwachen - Die Fährte - SOMMER-SONDEREDITION (German Edition)
übermütig.
Naomi hatte richtig gelegen mit der Vermutung, dass Alice sie nur aufziehen wollte. Alice war nicht nachtragend und außerdem viel zu neugierig, um lange eingeschnappt zu sein.
»Und du erinnerst dich an gar nichts mehr?« Alice riss die Augen auf, als Naomi den Kopf schüttelte. »Schräg. Echt schräg. Aber du solltest echt zum Arzt gehen.«
Naomi nickte ergeben.
»Jetzt aber zu Roman«, setzte Alice nach.
Naomi spürte, wie die Hitze in ihre Wangen stieg. Sie grinste vielsagend.
»Ihr habt es also getan«, quietschte Alice.
Naomi sah sich nach allen Seiten um. Doch die anderen Studenten waren in ihre eigenen Gespräche vertieft. Keiner nahm Notiz von ihnen. »Ja, und nicht nur ein Mal.« Sie erreichten den Eingang zum Vorlesungssaal. Naomi senkte die Stimme. Sie beugte sich zu Alices Ohr und flüsterte: »Und es war einfach nur ... göttlich.« Naomi ließ sich auf einen Stuhl fallen, streckte die Beine von sich und grinste Alice süffisant an.
Robert betrat den Saal. Unverzüglich war Ruhe. Alice sah immer wieder zu ihr, was Naomi zu einem noch breiteren Grinsen veranlasste. Nachdem sie Robert nicht verärgern wollte, kritzelte sie auf ihren Block. Naomi fiel der Zettel wieder ein, wo Alice geschrieben hatte, sie solle sie dringend anrufen. Warum sollte ich dich anrufen?
Alice schrieb nur ein Wort. Später. Naomi würde sich gedulden müssen. Bevor Naomi jedoch mit Alice sprechen konnte, pfiff ihr Sporttrainer sie zu sich. Da Robert mit Roman befreundet war, wusste er von ihrem Verschwinden und Romans Suche nach ihr. Erst zögerte Naomi, Robert ebenfalls die Black-out-Geschichte aufzutischen und sich lieber damit herauszureden, es handle sich um eine private Angelegenheit. Doch durch Roberts Freundschaft zu Roman würde er es früher oder später sowieso erfahren. So erzählte sie ihm die Kurzversion. Auch er schickte sie zum Arzt, Naomi nickte und bekräftigte, sie würde noch diese Woche gehen. Sie war zwar erleichtert, dass jeder ihre Geschichte schluckte, trotzdem lagen diese Lügen wie eine Last auf ihrem Gewissen. Sie log nie. Manchmal bog sie sich zwar die Wahrheit ein wenig zurecht, oder sie verschwieg unangenehme Dinge, was man vielleicht auch als lügen auslegen könnte; aber eine gewohnheitsmäßige Lügnerin war sie nicht. Sie hoffte, nun endlich niemandem mehr diese Lüge auftischen zu müssen. Die sorgenvollen und mitfühlenden Blicke ertrug sie nur schwer.
*
Sammy gähnte herzhaft. Er trank den letzten Schluck kalten Kaffee aus und warf den leeren Pappbecher in den Fußraum der Beifahrerseite, wo sich schon ein ganzer Berg von leeren Getränkedosen, Pappschachteln und Chipstüten stapelte. Eigentlich könnte er nach Hause fahren. Kai hielt sich seit fünfzehn Stunden in Cassidys Wohnung auf. Sammy grinste. Irgendwann kommen sie alle wieder, dachte er. Es war nur eine Frage der Zeit. In Kais Fall waren sechs Jahre vergangen. Kai hatte zwar an Erfahrung gewonnen, aber schlauer war er in dieser Zeit nicht geworden. Ansonsten hätte er diesen Fehler nicht begangen. Kai musste wissen, dass Sammy diese Treffen nicht entgehen würden. Da nutzte auch die neue Haarfarbe seiner süßen Cassidy nichts. Vielleicht hätte er sie in Ruhe gelassen. Aber nur vielleicht. Kai hätte ihm Naomi überlassen sollen. Aber das hatte er nicht getan. Er hatte sie ihm weggenommen, bevor er wieder in der Lage gewesen war, die Höhle aufzusuchen. Nun würde er sich eben um Cassidy kümmern. Sammy gähnte erneut. Zeit, sich schlafen zu legen.
Sammy startete den Wagen und fuhr nach Hause. Cassidy würde ihm nicht davonlaufen. Ebensowenig wie Naomi, Roman oder Alice.
*
Naomi suchte nach Alice auf dem Unigelände. Sie hatten sich beim kleinen Park verabredet. Sie entdeckte sie auf dem sonnenüberfluteten Rasenstück. Alice lag auf dem Rücken und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. »Das nennst du also lernen.«
Alice öffnete die Augen und grinste.
Naomi ließ ihre Tasche fallen und setzte sich neben ihre Freundin. »Jetzt will ich aber endlich wissen, was los ist.«
Alice rappelte sich auf und schlug die Beine im Schneidersitz übereinander. Dabei stieß sie ihren Rucksack um. Ein Buch rutschte zur Hälfte heraus. »Das errätst du nie!«
Naomi sah das Glitzern in ihren Augen. Alice strahlte über das ganze Gesicht. »Du besuchst Karsten«, sagte sie.
»Och, Mensch.« Alice schob ihre Unterlippe nach vorn und schmollte. »Karsten kann was erleben! Ich wollte es dir
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