Im Schatten des Mondlichts - Das Erwachen - Die Fährte - SOMMER-SONDEREDITION (German Edition)
ebenfalls seiner Kleidung entledigte. Die Art, wie sie sich auszogen, hatte nichts Erotisches. Es wirkte auf ihn, als zögen sie in einer fremden Wohnung ihre Jacken aus. Beide legten sich in Embryostellung, ohne einen Fetzen Stoff am Leib, unter den Baum, und es schien, als legten sie sich zum Schlafen nieder.
Eine Wolke schob sich vor den Mond. Roman konnte durch die plötzliche Dunkelheit nichts mehr erkennen. In der Hoffnung, der Vollmond würde wieder zum Vorschein kommen, richtete er seinen Blick immer noch auf die Ulme. Roman wagte kaum zu atmen. Gemächlich zog die Wolke weiter. Der Mond kam teilweise zum Vorschein.
Roman stockte. Kai lag nicht mehr dort. Er war verschwunden. Die Stelle, wo Naomi ihren Platz eingenommen hatte, lag immer noch im Dunkeln verborgen. Aber es bewegte sich etwas. Die Stirn in Falten gelegt, versuchte er zu erkennen, was dort war. Die Wolke gab den Mond endgültig frei. Er erhellte die Stelle. Roman schlug sich die Hand vor den Mund.
Dort lag ein Panther. Die Raubkatze war von kleiner Statur, reckte ihre Glieder, wie nach einem ausgiebigen Schlaf, und entfernte sich einige Schritte von der Ulme.
Romans Verstand raste. Sein erster Impuls war wegzulaufen. Doch wohin? Eine Flucht durch den Wald würde einen Höllenlärm verursachen. Ein Panther in Maine? Ausgeschlossen. Wo war Naomi?
Der Panther war an derselben Stelle aufgetaucht, an der Naomi verschwunden war. Ein absurder Gedanke ließ ihn zum Himmel emporsehen. Vollmond. Wie in jener Nacht, als Naomi aus dem Hotel verschwunden war. Sein Verstand weigerte sich, diesen Gedanken zu Ende zu denken. Es war schlicht unmöglich. Unmöglich und faszinierend zugleich. Ein Panther stand mitten auf einer Lichtung im Wald von Maine. Das Mondlicht zeichnete deutlich die helleren Rosetten auf dem schwarzen Fell ab.
Die Katze sah in das Geäst der Ulme. Er folgte dem Blick. Für einen kurzen Moment funkelten grüne Augen auf. Es knackte. Roman spürte, wie ihm der kalte Schweiß ausbrach, als ein weiterer Panther rückwärts am Stamm hinabglitt, bevor das Tier mit einem eleganten Sprung vor der kleineren Katze landete. Roman schloss die Augen. Er musste träumen. Wenn er nun die Augen öffnete, wäre dieses Bild verschwunden. Roman öffnete sie. Nichts hatte sich verändert. Gebannt starrte er auf die Tiere.
Die große Raubkatze floh vor der kleinen, schlug Haken, wich geschickt aus. Sie schienen miteinander zu spielen. Bei dem kleineren Panther musste es sich um ein Jungtier handeln. Die Statur war viel kleiner und die Bewegungen weniger geschmeidig. Immer wieder entkam die große Katze. Zuletzt flüchtete sie sich auf die Ulme, blieb kurz auf dem ersten Astkranz stehen, bevor sie erneut rückwärts am Stamm abwärts kletterte und sich für das letzte Stück zum Sprung umdrehte. Das Jungtier nahm Anlauf. Die Vorderpfoten im Sprung weit geöffnet, schlug es die Krallen in den Stamm. In drei Sätzen war es oben. Roman sah, wie das Tier den Kopf hob, als sei es stolz, nach oben gekommen zu sein. Es legte sich auf den Ast und feixte mit der Vorderpfote nach unten.
*
Sammy verließ die Höhle, in der er Naomi damals zurückgelassen hatte. Sein rechter Hinterlauf schmerzte. Er zog das Bein leicht nach. Mit jedem Schritt verfluchte er Cassidy. Der Schmerz würde vergehen, die Verletzung heilen. Aber er hatte durch sie ein Leben verloren. Eines von sieben. Sammys Wut verrauchte ein wenig, wenn er daran dachte, dass Cassidys Tod Kai fürchterlich getroffen haben musste.
Nun wusste er, wie es war, ein Leben zu verlieren. Es war die Hölle. Jeden Aufprall hatte er gespürt. Den Tritt ins Gesicht, wie er anschließend gegen die Felsen knallte. Ihm fehlte einzig die Erinnerung, wie er ins Meer gestürzt war. Vermutlich hatte ihn der letzte Aufprall auf das harte Schiefergestein getötet. Die Strömung hatte seinen leblosen Körper ans Ufer getragen. Zwei Stunden später hatte er das Bewusstsein wiedererlangt, und die Schmerzen trieben ihn schier in den Wahnsinn. Die Knochen schienen nicht gebrochen zu sein. Er konnte sich bewegen, wenn auch nur mit größter Anstrengung. Nun wusste er, auf was er sich eingelassen hatte. So leichtfertig würde er seine verbleibenden Leben nicht riskieren. In Zukunft wäre er vorsichtiger. Sterben mochte schmerzhaft sein, aber erneut ins Leben zurückzukehren war infernalisch.
Die vergangenen Wochen war Sammy vor Schmerzen unfähig gewesen, etwas zu tun. Jeden Tag klangen die Beschwerden etwas ab, bis nun
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