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Im Schatten des Palazzo Farnese

Im Schatten des Palazzo Farnese

Titel: Im Schatten des Palazzo Farnese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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seinen hellen Augen hob, blieb einem wirklich nichts anderes mehr übrig, als knapp daran vorbeizusehen. Sollte der Kerl sich doch zum Teufel scheren. Ruggieri nahm seine Runden durch das Zimmer wieder auf, um weitersprechen zu können.
    »Faktisch haben sich damit alle Gegebenheiten der Ermittlung verändert. Der Fall des gestohlenen Michelangelo könnte tatsächlich nichts anderes als ein Vorwand sein, hinter dem sich sehr viel kompliziertere Machenschaften verbergen. Sie und Ihr Minister werden Schwierigkeiten haben, das alles zu unterdrücken, glauben Sie mir. Denn nehmen wir einmal an, daß Claudius Valhubert über das Geheimnis seiner Stiefmutter Bescheid wußte, was ich vermute, dann hätte er seinen Vater aus dem Weg räumen können, umLaura zu schützen, die er vergöttert. Dieses Vergöttern ist übrigens gut verständlich. Und auch Gabriella hätte es tun können.«
    »Wozu?«
    »Weil Laura Valhubert, die bislang über kein eigenes Vermögen verfügt, beim Tod ihres Mannes ein beträchtliches Erbe erhält. Es ist klar, daß ihr Stiefsohn davon profitieren wird, genau wie die Tochter, die endlich aus dem Schatten heraustreten und ihr Versteck in Trastevere verlassen kann, ohne Vergeltungsmaßnahmen ihres Stiefvaters befürchten zu müssen. Bedenken Sie, daß Henri Valhubert ein gewaltiges Hemmnis in ihrem Leben war. Allerdings setzt das voraus, daß Henri Valhubert kürzlich von der Existenz dieser Gabriella erfahren hat. Der Rest der Familie muß das mitbekommen haben und aufgeschreckt worden sein. Denn wenn Valhubert nach der Entdeckung beschlossen hätte, sich scheiden zu lassen, wäre es mit Lauras und Gabriellas ruhiger Zukunft aus gewesen. Sie wären augenblicklich wieder im Elend einer römischen Vorstadt gelandet. Aber man müßte beweisen, daß Henri Valhubert das entdeckt hat.«
    »Ich kümmere mich darum«, erklärte Valence.
    Ruggieri kam nicht einmal mehr dazu, ihm die Hand zu geben. Die Tür seines Büros wurde heftig zugeschlagen. Seufzend nahm er den Telefonhörer ab und bat um ein Gespräch mit seinem Vorgesetzten.
    »Irgend etwas stimmt mit diesem Franzosen nicht.«

16
    Valence kehrte rasch ins Hotel zurück und bat, man möge ihm das Mittagessen auf dem Zimmer servieren. Seine Kiefer schmerzten, was daran lag, daß er die ganze Zeit die Zähne zusammengepreßt hatte. Er versuchte sie zu lösen und das Kinn zu entspannen, aber sie zogen sich ganz von allein wieder zusammen. Entgegen dem allgemeinen Glauben können Kiefer von Zeit zu Zeit ein Eigenleben führen, ohne einen zu fragen, und dieser Ungehorsam ist durchaus nicht angenehm. Wie hätte Henri Valhubert plötzlich Gabriellas Existenz entdecken können? Es war nicht allzu schwierig, sich das vorzustellen.
    Er saß auf der Bettkante, zog das auf dem Boden stehende Telefon zu sich heran und bekam ohne große Schwierigkeiten die Telefonnummer der Privatsekretärin von Henri Valhubert heraus. Sie war eine flinke Person und verstand, was Valence suchte. Sie sagte, sie würde zurückrufen, sobald sie die Informationen hätte. Er schob das Telefon mit dem Fuß zurück. In einer Stunde oder vielleicht zwei hätte er die Antwort. Und wenn sie wäre, wie er vermutete, würde das für niemanden sehr angenehm werden. Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und ließ den Kopf auf die Hände sinken. Es war ein Fehler gewesen, den Auftrag anzunehmen, denn jetzt hatte er durchaus keine Lust mehr, die Angelegenheit niederzuschlagen, im Gegenteil. Ihn hatte ein Bedürfnis gepackt, es herauszufinden, das ihn vor Ungeduld wütend machte. Und er hatte keine Lust, die Wahrheit, die er ahnte, verstohlen inÉdouard Valhuberts Hände zu legen. Im Gegenteil, er hatte Lust zu sagen, was er wußte, es herauszuschreien, er hatte Lust, diese Ermittlung zu Ende zu führen, damit sie all ihre Schändlichkeit erbrechen würde, ihren tragischen Lärm, ihre heißen Tränen, all ihr Gedärm. So war das. Was war bloß los mit ihm? Er fühlte sich brutal und mordlustig, das beunruhigte ihn. Dieses Verlangen nach einem Drama war ungewöhnlich für ihn, und sein eigenes, kaum beherrschtes Schaudern erschöpfte ihn. Er konnte immer noch versuchen, etwas zu essen und zu schlafen, bevor er sich mit Ruggieri im Vatikan traf. Liebend gern hätte er Ruggieri umgebracht.
    Bischof Lorenzo Vitelli sah abwechselnd Ruggieri und Valence an, die sich ihm gegenüber gesetzt hatten. Die beiden paßten nicht gut zusammen. Valences allzu strenge Entschlossenheit und Ruggieris allzu legere

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