Im Schatten des Palazzo Farnese
verwirrenden Glanz, ohne ein Flackern. Und doch sah Vitelli sie: die rasche Spur des Zweifels, der darübergegangen war, die Strudel seines Kielwassers. Das war sein Beruf, er war in der Lage, diese kleine Schockwelle zu erkennen, aber er hätte sie bei einem Mann wie Richard Valence nicht erwartet, dessen unerschütterliche Kraft fähig schien, so was auszuhalten.
»Diese Tür hier, die von Maria und den drei Skriptoren bewacht wird, ist es die einzige?«
»So ist es.«
»Und Maria ist nicht immer da?«
»Marterelli vertritt sie manchmal. Er ist ein zerstreuter Mann, er weiß mit Müh und Not, was Geld ist. Er denkt an nichts anderes als an die Geschichte des Papsttums, seine ausschließliche Leidenschaft. Es wäre absurd, ihn zu verdächtigen. Auch die drei Skriptoren Prizzi, Carliotti und Gordini sind über jeden Verdacht erhaben. Ich kann mir nicht vorstellen, was sie von einem solchen Handel hätten. Sie haben sowieso schon Schwierigkeiten, auszugeben, was sie besitzen. Was Maria angeht, so habe ich Ihnen schon gesagt,daß sie seit dreißig Jahren hier ist, geradezu symbiotisch mit den Mauern der Vaticana verbunden.«
»Führen die Toiletten des Großen Lesesaals auf das geschlossene Magazin?«
»Nein. Da gibt es keine Tür.«
»Aber doch wohl ein kleines Fenster?«
Der Bischof dachte nach.
»Ja, es gibt eines. Klein, aber vielleicht ausreichend, um hindurchzukommen. Nur liegt es in vier Metern Höhe. Wenn einer keine Leiter dabeihat, kann ich mir nicht vorstellen, wie …«
»Und mit einem Seil?«
»Das ändert nichts. Es sind öffentliche Toiletten. Man geht dort jederzeit das Risiko ein, überrascht zu werden. Das ist nicht machbar. Man müßte sich schon über Nacht dort einschließen lassen.«
»Ist das möglich?«
»Nein. Bestimmt nicht.«
»Trotzdem gibt es eine Chance auf tausend, daß es möglich ist. Wir können also keinen der Benutzer, die den Großen Lesesaal aufsuchen, automatisch ausschließen, was Hunderte von Verdächtigen bedeutet, wobei der stärkste Verdacht natürlich auf all jene fällt, die ständig das Archiv nutzen.«
»Wir kommen nicht voran.«
»Wie viele Personen sind regelmäßig im Archiv tätig?«
»Ungefähr fünfzig. Ich kann Ihnen eine Liste mit allen Namen erstellen, wenn Sie wollen, ich kann versuchen, sie genauer zu überwachen und mit denen, die ich gut kenne, das Gespräch auf das Thema bringen. Auch wenn ich nicht viel Zeit habe.«
»Bis wir Besseres finden, sollten wir das auf jeden Fall machen. Ich würde gerne Maria Verdi sehen.«
»Ich führe Sie hin.«Richard Valence hatte eine Abneigung gegen Bibliotheken, weil dort alles verboten war: Lärm mit den Schuhen zu machen, Lärm mit seinen Worten zu machen, zu rauchen, sich zu bewegen, zu seufzen, kurz, Lärm mit seinem Leben zu machen. Es gab Leute, die sagten, diese Einschränkungen des Leibes würden das Denken befördern. Bei ihm zerstörten sie es augenblicklich.
Von der Tür aus beobachtete er Maria Verdi, die mit Karteikarten hantierte, ohne ein einziges Geräusch hervorzurufen, und die seit dreißig Jahren so lebte, im Gemurmel dieses gedämpften Lebens. Er gab ihr mit Zeichen zu verstehen, er wolle sie sprechen, und sie führte ihn in das geschlossene Magazin, das sich hinter ihrem Schreibtisch öffnete.
»Das geschlossene Magazin«, sagte sie mit Hausbesitzerstolz.
»Was halten Sie von diesen Diebstählen, Signora Verdi?«
»Monsignore Vitelli hat mir davon erzählt. Es ist schrecklich, aber ich habe nichts dazu zu sagen, ich bin ihm da nicht die geringste Hilfe. Sie können sich ja denken, daß ich alle regelmäßigen Nutzer der Archive gut kenne. Und ich kann mir keinen vorstellen, der etwas Derartiges tun würde. Einen habe ich gekannt, vor sehr langer Zeit, der hat im Großen Lesesaal die Stiche mit dem Rasiermesser herausgeschnitten. Man konnte nicht sagen, er hätte danach ausgesehen, aber man konnte auch nicht gerade sagen, daß er völlig normal ausgesehen hätte. Aber nun ja, das Aussehen, was hat das im Grunde schon zu besagen?«
»Wahrscheinlich ist der Dieb unter Henri Valhuberts Bekannten zu suchen. Zum Beispiel der Verleger Baldi.«
»Er kommt häufig. Aber ihn könnte man unmöglich verdächtigen. Um so etwas zu tun, braucht man Mut, und ich glaube nicht, daß er das notwendige Temperament hat.«
»Claudius Valhubert und seine beiden Freunde?«
»Haben Sie sie gesehen?«
»Noch nicht.«
»Hat die Polizei sie im Verdacht? Dann würde sie wirklich ihre Zeit verschwenden.
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