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Im Schatten des Palazzo Farnese

Im Schatten des Palazzo Farnese

Titel: Im Schatten des Palazzo Farnese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Gesicht, von ihrem Körper hielte und wie hoch ich ihre Erbschaft einschätzte, und zwar auf ein paar tausend Lire genau. Mit diesen abendlichen Berechnungen – noch immer auf demselben Bürgersteig – haben wir uns sehr amüsiert. Laura war eher distanziert und verstand es perfekt, mit ihrer herausfordernden und sich wieder entziehenden Verführung zu spielen. Aber im Grunde beeindruckte der Reichtum sie. Das schlichteste neue Auto entlockte ihr Freudenschreie. Ich hatte Angst, daß einer der ›Erben‹ – so nannten wir sie, den Erben A, den Erben B, den Erben C, D, E, F, und so weiter – eines Tages ihre tatsächliche Naivität ausnutzen würde. Gelegentlich habe ich sie gewarnt. ›Lorenzo, sei nicht so sehr Pfarrer‹ war das einzige, was sie dann antwortete.«
    »Wie viele solcher ›Erben‹ umschwärmten Laura?«
    »Ich glaube, wir sind bis zum Buchstaben J gekommen, einschließlich der kleineren Vermögen. Ich erinnere mich noch gut an F: Er hätte sein Ziel beinahe erreicht, wurde aber von seinem Vater zurückgepfiffen, bevor etwas Irreparables geschehen wäre. Laura gefiel reichen Familien nicht. Was nichts daran ändert, daß die Geschichte mit F so ernst war, daß Laura einen ganzen Monat lang geschluchzt hat.«
    »Könnten Sie sich nicht an die Namen erinnern?«
    »Bestimmt nicht. Selbst Laura kannte sie nicht alle.«
    »Waren Sie eifersüchtig?«
    Vitelli seufzte. Ja, Tausende von Ruggieris zogen durch die Welt. Schwachköpfe in jedem Winkel der Erde.
    »Signor Ruggieri«, erklärte er mit leichter Ungeduld und indem er sich zu ihm hinüberbeugte, die Hände im Gürtel seiner Robe, »falls Sie mich gerade fragen, ob ich Laura gern hatte, so ist die Antwort: Ja. Sie ist heute, in dem Moment, da ich mit Ihnen rede, immer noch Ja, und sie wird auch morgen noch Ja sein. Falls Sie mich fragen, ob ich in Laura verliebt war, ist die Antwort: Nein. Sie denken natürlich, daß ich Sie anlüge und es nicht normal ist, daß der junge Mann, der ich damals war, nur brüderliche Zuneigung für ein Mädchen wie Laura empfand. Ich bin daher gezwungen, Sie auch gleich zu beruhigen, indem ich Ihnen sage, daß ich damals in eine andere Frau verliebt war. Ja, Herr Inspektor. Und es hätte nur wenig gefehlt, und ich hätte ihretwegen das Priesteramt fahren lassen, aber so haben sich die Dinge nicht entwickelt. Ich bin im Orden geblieben. Sie können sich nach Belieben erkundigen, wenn es Sie verlockt, ich verstecke mich nicht mit dieser Geschichte. Liebe zu erfahren erscheint mir übrigens eine unerläßliche Prüfung, wenn man die Absicht hat, später anderen Ratschläge zu erteilen. Kann ich jetzt mit Lauras Geschichte fortfahren?«
    »Ich bitte Sie«, brummte Ruggieri.
    Der Blick des Bischofs wandte sich von dem Polizisten ab.
    »Unter all diesen Erben also«, fuhr Vitelli fort und setzte sich wieder, »gab es mehr oder weniger schwierige Fälle. C und H schienen mir besonders gefährlich. Eines Abends auf dem Bürgersteig erklärte mir Laura, sie sei schwanger. Es sei in der Nacht nach einem Fest in Rom passiert, und sie kenne nicht einmal den Namen des Jungen. Sie hat nach ihm gesucht, ihn aber nicht wiederfinden können. Sie war neunzehn, ohne Geld und ohne Beruf. Ich habe mich oft gefragt, ob Laura mir wirklich die ganze Wahrheit gesagt hat und ob sie den Namen des Vaters tatsächlich nichtwußte. Vielleicht war es einer der Erben, der sie eingeschüchtert und bedroht hatte, damit sie schwieg. Lauras Familie war geradezu unterwürfig katholisch und nahm die Sache tragisch. Zu der Zeit war ich bereits Priester geworden, und es gelang mir, ihre religiösen Ängste ein wenig zu beruhigen. Laura hat also ihre Tochter, Gabriella, zu Hause bekommen, und das Kind wurde auf Anordnung von Lauras Vater sofort in eine Einrichtung gegeben, um es vor der Nachbarschaft und den Erben zu verbergen. Sechs Jahre später beschloß Laura, Henri Valhubert zu heiraten. Ich hatte Henri während seines Aufenthalts an der École française in Rom kennengelernt und die beiden miteinander bekannt gemacht. Laura flehte mich an, ihm nichts von Gabriella zu erzählen. Sie sagte, sie werde es später tun. Es stimmt, ich war mir nicht sicher, ob Henri die Situation hinnehmen würde, aber ich war mit Lauras Entscheidung nicht einverstanden. Der Schatten, in dem Gabriella leben mußte, gefiel mir nicht. Aber schließlich war es Sache der Mutter, das zu entscheiden, nicht wahr? Ein paar Tage vor ihrer Abreise nach Paris suchte mich Laura spät

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