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Im Schatten des Palazzo Farnese

Im Schatten des Palazzo Farnese

Titel: Im Schatten des Palazzo Farnese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Sie denken nicht genug an die Archive, um auf die Idee zu kommen, etwas daraus zu stehlen. Es sind entzückende Jungen, auch wenn Nero oft lästig und laut ist.«
    »Das heißt?«
    »Respektlos. Er ist respektlos. Wenn er mir ein Manuskript zurückbringt, hält er es fünfzig Zentimeter über den Tisch und läßt es mit einemmal fallen, absichtlich – um mich wahnsinnig zu machen, vermute ich. Er weiß genau, daß mich das aus der Fassung bringt. Aber er macht es ständig und sagt dann laut dazu: ›Hier ist der Papyrus, meine liebe Maria!‹ oder aber: ›Ich gebe dir diesen Wisch zurück, Maria-Heiliges-Gewissen-der-sakrosankten-Archive!‹ oder einfach nur ›Heiliges-Gewissen‹, das kommt ganz auf den Tag an, es gibt Varianten, ständig erfindet er neue. Ich weiß genau, daß sie mich untereinander so nennen: ›Heiliges-Gewissen-der-Archive‹. Wenn er diese Scherze weiter treibt, wird er mich noch zwingen, ihm die Benutzung hier zu untersagen. Ich habe ihn gewarnt, aber er macht weiter, man könnte meinen, er schert sich nicht drum. Und wenn ich es täte, wären die beiden anderen wütend.«
    Sie lachte kurz.
    »Erzählen Sie diese Kindereien bloß nicht weiter. Ich weiß übrigens selbst nicht, warum ich Ihnen das alles erzähle. Nun, so sind sie eben.«
    »Sie sollten noch aufmerksamer sein, Signora. Sie müssen die geringste Unaufmerksamkeit vermeiden, die es dem Dieb erlauben würde, sein Vorhaben auszuführen. Kommt es vor, daß Sie den Zugang zum geschlossenen Magazin unbeaufsichtigt lassen?«
    »Signore, in den Archiven sind ›Unaufmerksamkeiten‹ nicht gestattet. Seit dreißig Jahren ist mir hier nicht die geringsteBewegung entgangen. Selbst wenn ich arbeite, habe ich von meinem Schreibtisch aus alle Bibliotheksbesucher im Blick. Wenn sich irgend etwas tut, spüre ich es sofort. Zum Beispiel gibt es Dokumente, die man nur mit der Pinzette anfassen darf, um sie nicht zu beschmutzen. Nun, wenn jemand auch nur einen Fingernagel daraufsetzt, merke ich das.«
    Valence nickte. Maria war wie ein abgerichtetes Tier. Seit dreißig Jahren hatte sie alle Energie ihrer fünf Sinne darauf verwandt, über die Bibliothek zu wachen. Auf der Straße war sie bestimmt hilflos wie ein Maulwurf an der frischen Luft, aber hier war es tatsächlich schwer vorstellbar, wie jemand ihrer Wahrnehmung hätte entgehen können.
    »Ich glaube Ihnen«, sagte Valence. »Dennoch, wenn etwas Unnormales vorfallen sollte …«
    »Aber es fällt nichts Unnormales vor.«
    Valence lächelte und ging. Maria konnte sich nicht vorstellen, daß in der Vaticana gestohlen wurde. Das war normal. Das war, als ob man versucht hätte, sie persönlich zu entehren. Und da niemand den Eindruck machte, Maria entehren zu wollen, stahl auch niemand in der Vaticana. Das war logisch.
    Draußen wurde es allmählich sehr heiß. Valence trug einen Anzug aus dunklem Tuch. Manche Römer hatten das Jackett ausgezogen und es sich über den Arm gelegt, aber Valence lief lieber im Schatten als ohne Jackett. Er hatte es nicht einmal aufgeknöpft, das kam gar nicht in Frage.
    Er ging zu Ruggieri, der bei heruntergelassenen Jalousien in seinem Büro saß, die Ärmel bis zu den Ellbogen hochgekrempelt. Die Arme des Italieners waren mager und häßlich, und er entblößte sie trotzdem. Valence schämte sich seiner Arme nicht, sie waren kräftig und wohlgeformt, aber deswegen hätte er sie noch lange nicht gezeigt. Erhätte das Gefühl gehabt, sich zu schwächen, seinen Gesprächspartnern ein Terrain instinktiven Einverständnisses zu bieten, das er mehr als alles andere fürchtete. Solange man nicht gezeigt hat, daß man Arme hat, kann niemand wirklich sicher sein, daß man welche hat, und das ist das beste Mittel, Distanz zu wahren.
    Ruggieri schien ihm wegen des Vorabends im Leichenschauhaus nicht böse zu sein. Er bot ihm eilig einen Platz an.
    »Wir stehen kurz vor dem Ziel, Monsieur Valence!« sagte er und streckte sich. »Heute morgen haben wir etwas Wunderbares herausgefunden!«
    »Was ist passiert?«
    »Sie hatten gestern abend recht. Madame Valhubert hatte mich etwas durcheinandergebracht. Trotzdem schade, daß Sie ihren Auftritt im Leichenschauhaus verpaßt haben. Einen solchen Auftritt an so einem Ort habe ich noch nicht erlebt. Was für ein Gesicht, was für ein Gebaren, mein Gott! Stellen Sie sich vor, ich wußte nicht mal mehr, wie ich meine Sätze formulieren sollte, dabei bin ich nicht gerade eine verlegene Natur, Sie werden das gemerkt haben, denke ich.

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