Im Schatten des Pferdemondes
wirklich notwendig, und ob wir uns nicht opfern wollten?« Sie lachte leise und warf ihm einen verstohlenen Seitenblick zu. Sein Gesicht blieb ernst. Der Nebel war höher gestiegen, und seine zunächst vereinzelten Wolken verdichteten sich mehr und mehr zu einer mit den Blicken kaum mehr zu durchdringenden Wand. »Also für mich jedenfalls war's kein Opfer.« Sie streichelte den lang im Fond ausgestreckten Wolf. Der Hund öffnete ein Auge, ohne auch nur den Kopf zu heben, und der Blick dieses Auges war höchst gleichgültig. Irgendwie beunruhigte sie diese Reaktion ein wenig. Sie suchte nach einem anderen Gesprächsstoff. »Weißt du, ich glaube, Hugh und Jackie ... na, du weißt schon.«
»Möglich.«
Gwen unterdrückte ein Seufzen. – Nebel hin, Nebel her: wohin nur hatte sich die Unbeschwertheit verflüchtigt, die die Unterhaltung der Gruppe so mühelos über all die Stunden getragen hatte? Er hatte den ganzen Abend mit ihr geflirtet, auf seine schüchterne Art natürlich – Blicke, Lächeln, die uneingeschränkte Zuwendung seiner Aufmerksamkeit, wenn sie etwas sagte. Es wäre schön, dachte sie, ihm näher – nun, eigentlich, sehr nahe zu kommen. Aber vielleicht war sie ihm nicht genug. Immerhin ... sie war noch nicht einmal eine Krankenschwester. Und er ... Sie dachte an die Lobeshymnen, die Danny in seinem redseligen Stadium des Bierrausches gesungen hatte, und an Hughs drollig pointierte Bemerkungen. Für die beiden war dieser Mann etwas Besonderes. Und nach diesem Abend auch für sie.
Aber hatte Hugh nicht auch angedeutet – nein, nicht angedeutet, sondern einen begonnenen Satz mehrfach unterbrochen, wenn seine Rede auf Dr. Mercury kam?
Sie kannte Elaine Mercury. Eine lebhafte, tatkräftige und intelligente Frau, die völlig in ihrem Beruf aufging: Sehr oft, wenn Gwen zu ihrem Dienst erschien, wurde sie von den Nachtschwestern ermahnt, Dr. Mercury nur in einem wirklichen Notfall zu verständigen: »Dr. Mercury versucht zu flicken, wo immer es notwendig ist, aber es reibt sie auf. – Stören Sie sie wirklich nur, wenn es brennt! Wenden Sie sich immer zuerst an die Oberschwester!«
Für einige Sekunden, nun da sie all dies überdachte, fühlte Gwen sich niedergedrückt vom Bild dieser sehr engagierten und noch dazu schönen Frau. – Aber dann sah sie ihre Chance: Dr. Mercury war viel zu beschäftigt für einen Mann in ihrem Leben. – Und, dachte sie mit einer gewissen boshaften Genugtuung, viel zu beschäftigt für einen Mann wie Eric, der wie sie selbst sich in seinem Beruf völlig verlor und – sich dem zum Trotz nach einer warmen Nähe sehnte. Diese Nähe konnte sie ihm geben.
Ihre Hand legte sich auf seine Linke. »Fahr an die Seite, Eric, ja?«
Die drei Schwesternschülerinnen teilten sich ein Zimmer im Wohnheim und führten darin ein harmonisches Zusammenleben. Es war weit nach Mitternacht, als Gwen leise die Tür aufschloß, und sie unterdrückte einen kleinen Fluch, als sofort die Nachttischlampe an Joyces Bett anging.
»Hast du nicht gesagt, du wärst so müde? Warum kommst du dann erst jetzt?!« Joyces große runde Augen waren erstaunt. Und Gwen war einmal mehr von ihrer beispiellosen Naivität erstaunt. Auch Jackie gab jetzt jede Verstellung auf und stützte sich auf einen Ellenbogen. »Ich dachte ja eigentlich, wir könnten morgen früh darüber reden. Aber da wir sowieso alle wach sind ... auf eine Stunde mehr oder weniger kommt's jetzt auch nicht mehr an. Wir werden morgen früh sowieso alle in den Seilen hängen. Also erzähl, hat's geklappt, Gwenny?«
»Ich muß mich jetzt abschminken.« Gwen streifte ihren Mantel ab, ließ das Handtäschchen auf ihr Bett fallen und verschwand im Badezimmer.
»Geklappt?« verlangte Joyce, »was denn geklappt?« Jackie blickte sie durchdringend an.
»Oh.« Joyce war sehr jung, und sehr naiv, doch nun begann
selbst sie den wahren Sachverhalt zu erkennen. »Ich verstehe. Huch. Sie war also gar nicht müde. Hups. Sie wollte ... sie wollte mit ihm allein sein –«
»Haarscharf erfaßt, meine Liebe.« Gwen kam zurück, bereits in Nachthemd und Morgenmantel, mit einer dicken Cremeschicht auf ihrem Gesicht.
»Und was ist passiert? Du bist wahnsinnig spät dran; eigentlich sollte man denken – aber dein Verhalten ist nicht danach.« Jackie starrte sie fragend an.
Gwen zupfte ein Kosmetiktuch aus der Kartonbox auf ihrem Nachttisch und legte es über ihr Gesicht, um die Creme zu entfernen. »Wir waren noch essen.«
»Essen!«
»Essen, ja. Chinesisch. In
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