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Im Schatten des Pferdemondes

Im Schatten des Pferdemondes

Titel: Im Schatten des Pferdemondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evita Wolff
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war ein schmaler junger Mann mit rötlichem Haar
und hellblauen Augen. Sein Kopf reichte nicht einmal bis zu
Erics Schultern. Er stand ein wenig unbeholfen vor den
Stufen der Küche und hatte einen zerknautschten Hut in der
Hand, an dem er sich festzuhalten schien.
»Sie wollten mich sprechen, Mr. Maclntyre.«
»Ja, wegen Butterbloom – eine von meinen Milchkühen.« Erics rechte Augenbraue hob sich verwundert. Danny
Maclntyre sah eigentlich zu jung und vor allem zu zart aus,
um eine eigene Farm zu bewirtschaften. Ihm kam der
Gedanke, er könnte hier eine in gewisser Weise verwandte
Seele vor sich haben.
»Was fehlt ihr?«
»Sie hat grad ein Kalb gehabt, einen feinen kleinen Bullen,
aber jetzt hängt da was aus ihr raus, und Timmy ist im Krankenhaus, und seine Haushälterin meint, da wird er noch 'ne Weile bleiben müssen, ich wußte mir keinen Rat, und da fielen Sie mir ein. Vor 'ner Weile nämlich traf ich Billy im Pub, und er erzählte mir von Maudie, und daß sie ohne Sie
sicher eingegangen wär, und da dachte ich ...«
»Schon recht, Mr. Maclntyre. Lassen Sie uns gehen.«
Prolabierter Uterus. Nach dem Lehrbuch keine seltene
Angelegenheit bei Kühen.
»Wie lange ist's denn her, daß sie's rausgestoßen hat?« »Das Ding, meinen Sie? Heute nacht wohl. Ich sah's heute
morgen, aber ich dachte, lebensgefährlich kann's nicht sein,
weil sie Heu kaute, und ich mußte mich um die anderen
Viecher kümmern, und dann hängte ich mich ans Telefon, und
schließlich kam ich her. Wußte mir keinen anderen Rat, Sir.« »Das ist okay. Und nennen Sie mich nicht Sir. Ich heiße
Eric.«
»Oh, aye. Aye. Danny. Das ist mein Name.«
»Schön. Danny, wir müssen meine Medikamente holen. Sie
sind oben, auf der anderen Seite des Dorfes.«
»Aye, Guvnor. Bin froh, daß Sie mitkommen. Ich wüßte
nicht, was ich mit diesem Sack bei Butterbloom anfangen
sollte.« Er erzählte, daß ein geplatzter Reifen ihn zusätzlich
aufgehalten hatte, und beim Anblick seines Wagens brauchte
die Wahrheit nicht in Zweifel gezogen zu werden: der
zerbeulte Kombi knirschte auf den abschüssigen Passagen, als
würde er jeden Moment auseinanderbrechen. Eric lauschte
mit halbem Ohr, doch einmal mehr wurde er von der
Schönheit um ihn herum gefesselt. Da waren die Berge des
Hochlandes im Hintergrund; die Weite des Meeres zur
Rechten; grüne weite Flächen, belebt von dicht belaubten
Bäumen; breite klare Flüsse in den Niederungen. Kleine
Gebäude standen weithin sichtbar auf einer Kuppe oder
geborgen zwischen alten Bäumen und einer sommerlichen
Blumenpracht. Uralte Steinbrücken, und hier und da in der
Ferne immer wieder eine Ruine, erinnerten daran, daß die
glorreiche Vergangenheit dieses Landes kein Mythos war. »Stört Sie's, wenn ich das Radio anstelle, Eric?«
»Nicht die Spur.«
Danny kippte den Schalter, er schien so ziemlich das einzige, was an diesem Auto funktionierte, und halb und halb erwartete Eric irisch-schottischen Folk oder das allgegenwärtige Musikprogramm der BBC, aber Dannys Radio war auf einen amerikanischen Sender eingestellt und spielte Countrymusik. Eric hatte nie viel für Country übrig gehabt, er war mehr für Klassik und hörte daher nicht hin, bis ein Lied erklang, das sich von den anderen abhob. Die Melodie war einnehmend, die Stimme des Sängers von beeindruckender Ausdruckskraft; als wisse er, worüber er sang – sein Herz schien in jeder Zeile zu sprechen. Eric hörte zu, und es war eine anrührende Geschichte, die von Sekunde zu Sekunde deutlicher Gestalt in seiner Vorstellungskraft annahm: Der Sänger traf nach vielen Jahren die Frau wieder, in die er einmal bedingungslos verliebt gewesen war, deren Verlust er nie hatte verwinden können. Immer hatte er gezweifelt an der Liebe zu seiner jetzigen Frau – und da war wieder sie, wunderbar schön, so funkelnd und lockend wie ein Diamant – und ebenso kalt, ebenso hart. Schon immer war sie so gewesen, er hatte es nur nicht gesehen; jetzt endlich erkannte er sie, als er sie mit seiner Gefährtin verglich, die nicht diese überwältigende Schönheit besaß, aber Wärme und Aufrichtigkeit und eine Kraft, die bereit war, alles mit ihm durchzustehen. Und er fand endlich Ruhe in der Gewißheit, daß Glanz nichts ist und Wärme alles; daß er die richtige Wahl getroffen hatte. Der Refrain ging Eric nicht mehr aus
dem Kopf:
»Some of God's Greatest Gifts are Unanswered Prayers.«
Nicht alle Gebete zu erhören, gehört zu Gottes größten
Geschenken.
    Sechs Milchkühe standen in Dannys

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