Im Schatten des Ringes
sich in ihrem wissenschaftlichen Streben ganz allein der Suche nach Möglichkeiten in Frieden zusammenzuleben verschrieben haben. Und während der vergangenen Generation hatten die Tempelhüterinnen besonders viel Nachdruck auf friedliche Koexistenz gelegt. Damit wollte man versuchen, die Visionen im Traum des Königs und Taranas von einer bevorstehenden Vernichtung zu verändern. Trotzdem kam es immer noch zu Plünderungsaktionen, die, wenn sie dem König zu Ohren kamen, als militärische Verteidigungsoperationen erklärt wurden. Das war eine der unabänderlichen Tatsachen des Lebens, die ich unwidersprochen akzeptierte. Doch Rellar war ein Mensch von sanftem Gemüt. Auch wenn er nicht an Träume glaubte, so glaubte er doch an den Frieden, und er würde jede Mühe auf sich nehmen, diesen zu erhalten und zu festigen. Seine Bemühungen hatten Erfolg und verwirrten Chel, Akadem und Tarana, und mir sank das Herz. Chel brauchte von seiten meiner Gefährten wenigstens etwas Unterstützung, um Tarana auf seine Seite zu ziehen und ihre Zweifel hinsichtlich der religiösen Aspekte bei dieser Sache auszuräumen. Sie hatte ihr privates Vermögen dank seiner letzten Expedition vermehren können, und sie würde es sich bestimmt eingehendst überlegen, ehe sie dem König eine weitere empfahl. Wenn sie erst mal von den Vorteilen der geplanten Expedition überzeugt wäre, dann könnte ihre Habgier sie durchaus dazu bewegen, die Ächtung noch einmal zu überdenken und vielleicht ihre alte Entscheidung zu widerrufen.
„Ich beschränke mich darauf zu erklären, wie diese Orientierungsmethode funktioniert“, sagte Chel. Sein Schwanz zuckte, während er innehielt und Rellar prüfend musterte, ob dieser wieder mit einer anderen Interpretation aufwartete, doch Rellar schwieg. Chel lächelte. „Es heißt, daß das Regendach, das uns so schmerzlich vertraut ist, nicht die ganze Welt überdeckt. Es soll angeblich jenseits des Immernachtgebirges zu Ende sein.“
Einige der Hüterinnen reagierten bei der Vorstellung, daß Regenspenders Machtbereich begrenzt sein sollte, mit Empörung, doch in diesem Moment ergriff wieder Rellar das Wort, und sie hörten ihm zu, während sie so taten, als ignorierten sie seine Worte.
„Ich habe Hemmungen, unhaltbare Hypothesen aufzustellen, aber meine Sklaven reden von einem regenlosen Land irgendwo hinter den Bergen …“
Chel sprang auf. „Ich lasse mich von diesem Tier-Freier nicht lächerlich machen!“ rief er. „Er war es, der von dem regenlosen Land gesprochen hat, und es war Heao, die mir einmal erzählt hat, daß man, wenn die Himmelsbrücke deutlich sichtbar wäre, diese als Orientierungshilfe in Gegenden heranziehen kann, für die es keine Landkarte gibt. Rellar versucht das Thema, das ich vor dieser Versammlung vortragen wollte, zu seinem eigenen Vorteil auszuschlachten. Aber ich will mich nicht an einem solchen Affront gegen den Tempel beteiligen!“
Rellar lächelte, schlang sich den Schwanz um den Hals und imitierte die Geste, die für Chel so typisch war. „Ich habe meine Hypothese aus den Erinnerungen von Sklaven entwickelt.“
„Tier-Mystik“, spottete Chel. „Das angemessene Gebiet für einen vergehenden Mann, der kaum noch von seinem Lager hochkommt.“ Er wandte sich mit einer überheblichen Geste ab.
Die Tür zu unserer Versammlungshalle schlug hinter Chel krachend ins Schloß, und mein armes Kind mußte sie wieder öffnen, um den Raum zu verlassen. Tarana blieb sitzen und lächelte hinterhältig. Ich vermutete, ihr Lächeln galt Chels standhafter Loyalität zur Haltung des Tempels gegenüber der Sklaven-Frage. Indem sie Rellar und mich hatte ächten lassen, trat sie das Gesetz des Königs mit Füßen, das Akademers vor der Beschuldigung der Häresie grundsätzlich bewahrte. Die Ächtung wurde in der Verordnung nicht erwähnt, doch bisher hatte sie auch nie zur Diskussion gestanden. Wir hatten keine Ahnung, wie der König reagieren würde, denn der Frühling war noch Monate entfernt, und der König hielt sich noch im Tiefland auf. Nach seinem war Taranas Hof der bedeutendste im ganzen Land.
„Du hast es Chel unmöglich gemacht, unseren Fall zur Sprache zu bringen“, flüsterte ich Rellar zu.
„Du hast ihn doch gehört, Heao. Er ist ein Mann der Hüterinnen. Wir bedeuten ihm nichts.“
Ich schüttelte den Kopf. „Wenn du ihm nicht verraten hättest, daß auch die Sklaven an deiner Hypothese Anteil haben, hätte er uns helfen können. Du hast ihn
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