Im Schatten des Teebaums - Roman
kein Polizeirevier gab, bestand die Gefahr eines Lynchmordes.
»Ich bin gefeuert worden«, sagte Brodie. »Die Aborigine-Fährtenleser und die Hunde werden heute im Laufe des Tages oder morgen früh eintreffen. Wir müssen rasch handeln, wenn wir herausfinden wollen, wer der Schafdieb ist.«
Eliza war krank vor Sorge um Noah, hatte aber auch Angst um das Leben des Wolfs.
Am Abend brachen Eliza und Brodie nach einem frühen Abendessen zum Lake Bonney auf. Es war noch hell, da die Tage allmählich länger wurden, doch bis sie den See erreicht hatten, würde die Dämmerung hereinbrechen. Sie ritten zu zweit auf Angus, da Brodie darauf bestanden hatte, dass Eliza nicht auf Nell ritt.
»Angus ist schnell, wenn es sein muss. Wir könnten es eilig haben, wenn da jemand ist«, erklärte Brodie. »Und Angus ist schwarz, sodass er nicht so leicht zu sehen ist.« Brodie schlug außerdem vor, sich in Schwarz zu kleiden, um im Dunkeln besser getarnt zu sein.
Es war ein beschwerlicher Ritt, so nahe aneinander auf Angus sitzend. Es war kaum möglich, einander nicht zu berühren, vor allem, da sie durch die Bewegungen des Tieres immer wieder aneinandergedrückt wurden. Beide spürten die Gegenwart und körperliche Nähe des jeweils anderen überdeutlich, und beide mussten sich im Stillen eingestehen, dass es sehr angenehm war.
Der See lag friedlich da, während die ersten abendlichen Schatten über das stille Wasser fielen. Eliza starrte auf die sich verdunkelnden Wolken, die sich auf der Seeoberfläche spiegelten. Es war kaum vorstellbar, dass jemand an einem solch schönen, stillen Ort etwas so Schauriges wie den Pferch zum Schlachten errichtet hatte.
Sie stiegen ab und gingen ein kurzes Stück zu Fuß, damit Eliza sich orientieren konnte. Als sie sicher war, dass sie in die richtige Richtung liefen, versteckte Brodie Angus in einem kleinen Wäldchen. Er hatte sein Gewehr dabei. Während er nun an Elizas Seite ging, die Waffe in der Hand, konnte sie seine Anspannung und Wachsamkeit spüren. Auf sich selbst konnte Brodie gut aufpassen, aber zweifellos empfand er sie, Eliza, als Belastung.
An diesem Abend ging keine Brise, doch als sie sich dem Pferch näherten, nahmen sie den Geruch der trocknenden Felle und der verwesenden Kadaver wahr. Eliza hatte sich darauf vorbereitet, indem sie einen dicken, von Tilly geliehenen Schal trug, den sie mit Fliederwasser beträufelt hatte. Brodie hatte ein Halstuch dabei, das er sich vor Mund und Nase hielt. Trotzdem drang der Ekel erregende Geruch durch. Eliza war übel, als sie endlich die Kaninchenfelle erreichten. Brodie ließ vorsichtig den Blick in die Runde schweifen, um sicherzugehen, dass sie nicht in eine Falle tappten. Es war möglich, dass Eliza und Noah Spuren oder sonstige Hinweise hinterlassen hatten, dass sie hier gewesen waren – irgendetwas, was der Schafdieb vielleicht gefunden hatte. Vorsichtshalber gestattete Brodie es Eliza nicht, laut zu sprechen. Er benutzte Handzeichen, um ihr Anweisungen zu geben für den Fall, dass jemand in der Nähe war.
Am Eingang des Tunnels ging Eliza in die Hocke und zeigte hinein. Brodie bedeutete ihr mit einer Geste, sich in der Nähe im Gebüsch versteckt zu halten, während er in den Tunnel kroch, um sich die Sache anzuschauen. Inzwischen war es fast dunkel. Brodie wusste, dass er sich beeilen musste, wollte er noch irgendetwas erkennen.
In ihrem Versteck wartete Eliza einige Minuten, ehe Brodie wieder aus dem Tunnel auftauchte. Trotz des spärlichen Mondlichts konnte sie sehen, dass er blass war; offensichtlich war ihm schlecht von dem, was er gesehen hatte.
»Da drinnen ist niemand«, flüsterte er. »Ich konnte keine Hinweise auf die Identität des Schafdiebs finden, aber auf den Fellen sind mehrere unterschiedliche Brandzeichen. Ich habe Jocks und Freds Zeichen erkannt.«
In diesem Augenblick hörten sie beide das Geräusch. Es war das Blöken eines Schafs, und es kam aus der Richtung, in der sie Angus angebunden hatten. Brodie nahm Elizas Arm und zerrte sie in ein Gebüsch, wo sie sich versteckten. Brodie war froh, dass er so vorausschauend gewesen war, dunkle Kleidung zu tragen; trotzdem zogen sie sich den Schal und das Halstuch über die Gesichter, damit diese im Dunkeln nicht schimmerten. Dann verharrten sie regungslos, während sie lauschten und die Augen offen hielten. Die Nacht hatte sich rasch übers Land gesenkt, und so konnten sie das Flackern einer schwankenden Laterne sehen, die sich ihnen näherte. Zwei Männer
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