Im Schatten des Teebaums - Roman
etwa eine halbe Meile entfernt lag. Dort angekommen, hämmerte Tilly kräftig gegen die Hintertür und rief laut Barneys Namen. »Der Ärmste ist fast taub, deshalb muss man immer schreien«, sagte sie.
Nach einer Weile ging die Tür auf. Barney Blackwell freute sich sichtlich, Tilly zu sehen. Er strahlte übers ganze Gesicht und begrüßte sie herzlich, als er sie erkannte.
»Barney, das ist Eliza«, rief Tilly.
Da er Eliza noch gar nicht bemerkt hatte, schaute er Tilly einen Moment verständnislos an; dann dämmerte ihm, was sie gesagt hatte. »Oh, guten Tag«, grüßte er verlegen.
»Guten Tag, Mr. Blackwell.« Eliza schätzte, dass er ungefähr zwanzig Jahre älter war als ihre Tante. Er hatte ein offenes, freundliches Gesicht.
»Ich wollte dir nur sagen, dass der Jäger, der beauftragt worden ist, den Tiger zu erlegen, eine Zeitlang bei mir wohnen wird«, sagte Tilly laut.
»Bohnen?« Barney blinzelte verwirrt. »Nein, ich brauche keine Bohnen.«
»W ohnen! Der Jäger wird eine Zeitlang bei mir wohnen! Und leg nicht nachts auf ihn an, wenn er auf die Pirsch geht!«
»Hisch? Was für ein Hirsch?« Barneys Verwirrung wuchs.
Tilly drehte sich zu Eliza hin und seufzte. »Der arme Kerl ist stocktaub.« An Barney gewandt, schrie sie: »Du hättest neulich nachts fast meinen Hund erschossen. Ich will nicht, dass du aus Versehen Brodie Chandler triffst, wenn er den Tiger jagt!«
Barney schüttelte den Kopf. »Nein, nein, ich gehe heute nicht auf die Jagd.«
»Herr, gib mir Kraft«, stieß Tilly gepresst hervor und blickte Eliza an. »Ich muss es ihm irgendwie begreiflich machen! Am besten, ich schreibe es ihm auf.« Sie fasste Barney am Arm und führte ihn mit sich ins Haus. Eliza blieb mit Sheba draußen auf der Veranda. Sie schaute sich um. Barney hielt ebenfalls Hühner. Er hatte auch einen Gemüsegarten, der verglichen mit Tillys Garten aber verwahrlost wirkte.
Als Tilly einige Minuten später wieder herauskam, sagte sie: »So, jetzt hat er ’ s begriffen.«
Sie verabschiedeten sich von Barney und gingen winkend davon.
»Er mag dich, Tante«, bemerkte Eliza. »Sogar sehr, wie mir scheint.«
»Nun ja, wir sind seit Jahren Nachbarn«, antwortete Tilly ausweichend.
»Ich könnte mir denken, dass er einsam ist«, sagte Eliza mit einem viel sagenden Seitenblick auf ihre Tante.
»Er ist gern allein, genau wie ich!«, erwiderte Tilly schroff. »Außerdem ist es fast unmöglich, sich mit ihm zu verständigen, das hast du ja erlebt. Barney ist ein netter Kerl, aber er ist schon in jungen Jahren schwerhörig geworden, und sein Gehör lässt immer mehr nach. Und jetzt, wo seine Augen nicht mehr richtig mitmachen, frage ich mich, wie lange er noch allein hier draußen leben kann.«
»W ie hat er eigentlich gelesen, was du ihm aufgeschrieben hast?«
»Mit Hilfe eines Vergrößerungsglases«, antwortete Tilly bedrückt.
Tilly führte Eliza den Pfad zum Eingang der Höhlen hinauf. Sie zündete die beiden Öllaternen an, die sie zuvor am Wegrand abgestellt hatte, und reichte eine davon Eliza. Dann betraten sie das Höhlenlabyrinth.
Nach ein paar Metern blieb Tilly stehen und hielt ihre Laterne hoch. Eliza holte in ehrfürchtigem Erstaunen Luft, als sie die zahllosen, bizarr geformten Stalaktiten und Felssäulen erblickte, auf denen die Höhlendecke zu ruhen schien. Es war totenstill; nur das Tröpfeln von Wasser war zu hören.
»W o kommt das Wasser her?«, raunte Eliza.
»V om Regen. Nach Regenfällen dauert es Wochen, bis das Wasser durch das Erdreich über der Höhle gesickert ist.«
»Es ist wunderschön hier«, flüsterte Eliza, die sich nicht satt sehen konnte an den Tropfsteinen, die sich im Schein der Laterne in Fabelwesen, seltsame Gestalten oder Gesichter verwandelten. Sie kam sich vor wie in einer verwunschenen Welt.
»Hier drin herrscht das ganze Jahr über eine gleichmäßige Temperatur«, erklärte Tilly. »Ich habe oft daran gedacht, im Sommer mein Gemüse hier einzulagern. Es wäre ein idealer Platz.«
»Ja, das glaube ich auch.« Eliza ging langsam umher. »Sind die Höhlen denn auf deinem Land?«
»Das dachte ich lange Zeit, aber dann fand ich heraus, dass das Land der Regierung gehört. Anscheinend steht es unter Schutz, weil es hier ein großes Vorkommen an Dolomitgestein gibt. Ehe ich davon erfuhr, sind viele Leute hergekommen, um sich die Grotten anzusehen, und ich musste ihnen dann immer Laternen ausleihen. Ein Regierungsvertreter meinte, dass die Höhlen vielleicht irgendwann
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