Im Schatten des Teebaums - Roman
beleuchtet und für die Öffentlichkeit geöffnet würden. Aber darauf kann ich verzichten. Das würde nämlich bedeuten, dass hier andauernd Leute herumlaufen.«
Als sie die Höhle weiter erkundeten, fiel Eliza auf, dass Sheba einige Ecken besonders aufmerksam beschnupperte. »Sie hat irgendwas in der Nase, Tante. Glaubst du, der Tiger war hier drin?«
»Der Tiger? Also, das kann ich mir nun wirklich nicht vorstellen«, antwortete Tilly belustigt. »Aber hierher verirren sich bestimmt viele andere Tiere, Beutelratten oder Kaninchen. Das ist mit ein Grund, weshalb ich mein Gemüse nicht hier einlagern will. Die Viecher würden mir alles wegfressen.«
»Gibt es hier auch Fledermäuse?«
Tilly zuckte die Achseln. »Ich hab noch nie welche gesehen, aber ich bin auch noch nicht in allen Höhlenkammern gewesen.«
Eliza ging der Gedanke, dass sich in einer dieser Höhlen ein wildes Tier verstecken könnte, nicht aus dem Kopf. Was, wenn ihnen plötzlich der Tiger gegenüberstünde? Auch wenn Tilly nicht an seine Existenz glaubte – hatte Brodie Chandler nicht behauptet, er hätte ganz in der Nähe fremdartige Spuren entdeckt? Mit einem Mal war Eliza nicht mehr wohl in ihrer Haut, und sie schaute sich ängstlich um. Zum Glück hatte Tilly bei einem ihrer früheren Besuche eine Fährte aus Kieselsteinen gelegt, sodass sie nicht Gefahr liefen, sich in dem Höhlenlabyrinth zu verirren.
Als sie kurze Zeit später wieder ans Tageslicht traten, bemerkte Eliza Pfotenabdrücke in der weichen Erde seitlich vom Höhleneingang. Die Abdrücke waren ihr vorher gar nicht aufgefallen, weil sie von der anderen Seite gekommen waren.
»Schau mal«, sagte sie und deutete auf die Spuren.
»Die müssen von Sheba sein«, meinte Tilly.
»Das glaube ich nicht.« Eliza zeigte auf den Hund. »Shebas Abdrücke sind viel kleiner, siehst du?«
»Du hast recht.« Tilly ging in die Hocke, um die Spuren aus der Nähe zu betrachten. »Seltsam. Solche Abdrücke habe ich noch nie gesehen. Vielleicht sollten wir Brodie Bescheid sagen.«
Eliza nickte. »Ja. Ich will zwar nicht, dass er den Tiger abschießt, aber auf der anderen Seite mache ich mir Sorgen um Jock. Wir sollten ihn warnen und ihm von Brodies und unserer Entdeckung erzählen, meinst du nicht?«
Tilly warf einen Blick auf die Uhr und verzog unwillig den Mund. »Ich muss heute noch sehr viel erledigen, und ich will nicht, dass du nach Anbruch der Dunkelheit allein unterwegs bist.« Da sie später als gewöhnlich zu Mittag gegessen hatten, bei Barney gewesen waren und dann viel Zeit in den Höhlen verbracht hatten, war es ziemlich spät geworden. »Ich wollte nichts sagen, um Jocks Begeisterung keinen Dämpfer zu versetzen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass der Tiger ihm gleich in der ersten Nacht in die Falle geht. Ich habe sowieso nie daran geglaubt, dass er überhaupt existiert. Jahrelang haben ganze Suchtrupps die Gegend nach ihm durchkämmt, aber nie etwas gefunden. Ein so schlaues Tier – sofern es überhaupt existiert – wird nicht einfach in Jocks Grube plumpsen.«
»W ahrscheinlich hast du recht«, meinte Eliza nachdenklich. »Könnten die Abdrücke von einem größeren Hund stammen, vielleicht aus der Nachbarschaft?«
»Gut möglich. Sheba wird bald läufig, und das lockt eine Menge Rüden von den umliegenden Farmen an. Das ist mit ein Grund, warum ich sie nachts im Haus behalten muss.«
Nach kurzer Beratung beschlossen sie, vorerst nichts weiter zu unternehmen. Sie kehrten zum Hanging Rocks Inn zurück, wo Tilly gleich in die Küche ging und einen Gemüseauflauf fürs Abendessen zubereitete. Eliza blätterte unterdessen in einigen ihrer Bücher über die Gegend.
Es wurde schon dunkel, als Brodie Chandler aus seinem Zimmer kam und sich zu ihnen gesellte. Er sah erholter aus als bei seiner Ankunft. Während Tilly ihm sein Essen servierte, steckte Eliza ihre Nase tiefer in ihre Bücher.
Schweigen breitete sich aus. Tilly fiel auf, wie ihre beiden Gäste einander verstohlene Blicke zuwarfen. Schließlich sagte sie zu Brodie: »Haben Sie schon ein bestimmtes Gebiet im Auge, das Sie heute Nacht durchkämmen wollen?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich lasse mich von meinem Instinkt leiten. Ich suche einfach alle Plätze ab, die sich als Versteck für einen Tiger eignen könnten.«
Als er gegessen hatte, verlor er keine Zeit. Er schulterte sein Gewehr, nahm sich eine Laterne und brach auf.
Tilly und Eliza hatten das Gefühl, dass er ihnen sein Ziel absichtlich
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