Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten des Vaters

Im Schatten des Vaters

Titel: Im Schatten des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
Vom Netzwerk:
Alaska, alles verfärbte sich, das ganze Gestrüpp, und es begann schon Anfang August. Hier noch nicht, aber bald war es so weit. Weiter nördlich, in Fairbanks, wo sein Vater gewohnt hatte, fing es sehr bald an, vielleicht jetzt schon, und am fünfzehnten September waren all die kleinen Blätter von den Heidelbeersträuchern abgefallen und die meisten Blätter von den Bäumen, das Ende vom Herbst und der Beginn der Schneezeit. Hier fing es später an, aber nicht viel später. Einen Sommer in Ketchikan, erinnerte er sich, hatte es im August geschneit. Er war draußen Dreirad gefahren und hatte versucht, mit der Zunge die Flocken aufzufangen.
    Später standen sie auf der Landspitze und fingen einen Lachs nach dem anderen. Endlich kamen die Schwärme, nicht mehr nur ein paar vereinzelte Fische. Sie sahen die dichten Trauben im klaren Wasser, reihenweise dunkle Schemen, die im Gleichklang langsam auf und ab wogten, noch etwas, woran Roy sich erinnerte. Sie waren mit ihrem Kajütboot in kleine Buchten wie diese gefahren, und Roy hatte mit seinem Vater am Bug gestanden und sich die Versammlungen unter ihnen angeschaut, und er hatte geglaubt, dass es imWasser immer so aussah, dass alle Wasser so reich bevölkert waren. Die Köder dümpelten jetzt bunt zwischen ihnen, so wie damals, und Roy ließ seinen über ihre Nasen hinwegwandern, bis ein Fisch vorschnellte und ihn sich schnappte, dann silbern aufblitzte, während Roy zog, um den Haken zu verankern. Er johlte genau wie sein Vater, wenn einer angebissen hatte, und da schien es nicht mehr so schlimm, dass sie hier draußen blieben. Roy nahm seine Fische aus, als er fünf gefangen hatte, und fädelte sie an den Kiemen auf.
    Wenn wir richtig loslegen, sagte sein Vater, schleppen wir täglich zwanzig, dreißig Stück in die Hütte. Da werden wir uns einen zweiten Räucherofen wünschen.
     
    Das Flugzeug kehrte in der darauf folgenden Woche mit den Vorräten zurück: weiteren Tiefkühlbeuteln, Sperrholz, Samen, Büchsen und Grundnahrungsmitteln, riesigen Säcken mit Salz und braunem Zucker, einem neuen Funkgerät und Batterien, Western von Louis L’Amour für seinen Vater, einem neuen Schlafsack und einem Überraschungstopf Schokoladeneis für Roy. Die Ankunft des Flugzeugs erweckte den Eindruck, als wären sie gar nicht so weit weg, als gäbe es vielleicht gleich hinter der Landspitze eine Stadt und andere Menschen wie Tom. Roy war ganz glücklich und entspannt und fühlte sich geborgen und begriff erst, als das Flugzeug wieder startete und anfuhr, dass dieses Gefühl nicht von Dauer sein würde. Als er ihm hinterhersah, begriff er, dass alles noch einmal von vorn anfing, dass es jetzt wieder ein oder zwei Monate oder sogar noch länger dauerte, und außerdem erinnerte er sich daran, dass sie mindestens eine Woche Urlaub geplant hatten für das Ende des Sommers, also jetzt. Das war der Plan gewesen, und irgendwie war daraus nichts geworden.
    Aber er hatte wenig Zeit zum Grübeln. Sein Vater und er bereiteten sich intensiver denn je auf den Winter vor. Sie standen früh auf und arbeiteten häufig bis in die Dämmerung hinein. Die Berge veränderten sich dann schnell, wurden lila und gelb und rot, schienen im späten Licht weicher zu werden, die Luft kälter und sauberer und jeden Tag dünner, Roy und sein Vater waren jetzt eingemummt in ihre Jacken und Hüte, wenn sie den Lachs einholten, wenn sie mehr Holz fällten und es hinter den Sperrholzwänden aufschichteten. Eine entspannte Zeit zwischen ihnen, betriebsam und selbstvergessen beim gemeinsamen Aufstocken der Vorräte. Roy schlief. Falls sein Vater weinte, merkte er es nicht, und eine Weile zumindest kümmerte es ihn nicht so sehr, vielleicht weil er jetzt wusste, dass er nicht wegkam, dass er sich verpflichtet hatte und hier bei seinem Vater bleiben würde, ob er nun krank war oder gesund.
    Sie fingen mit dem Privatunterricht an, in der ersten Woche bloß an zwei, drei Abenden. Roy las Moby Dick , und sein Vater las Louis L’Amour. Roy schrieb Antworten auf ausführliche, pingelige und scheinbar unbedeutende Fragen über Handlung und Thema, und sein Vater sagte, Na, das war doch mal ein echter Western. Nach einer Woche merkten sie, dass die Vorbereitungen ihnen keine Zeit dafür ließen, also schoben sie es auf und fällten wieder ganztägig Holz und räucherten Fisch und jagten.
    Inzwischen jagten sie alles, alles, was ihnen unterkam und sich räuchern ließ. Sie erlegten eine Elchkuh im wenige Meilen entfernten

Weitere Kostenlose Bücher