Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten des Vaters

Im Schatten des Vaters

Titel: Im Schatten des Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
Vom Netzwerk:
entspannen sollen. Ich fühlte mich einfach verantwortlich. Er sprach mit Roy über Kleinigkeiten, die ihn störten. An dem Tag, wo ich dich ertappt habe, sagte er. Wo du auf dem Plumpsklo gewichst hast. Ich habe immer noch ein schlechtes Gewissen. Ich bin damit wohl nicht so gut umgegangen. Ich hätte etwas sagen sollen, aber ich wusste einfach nicht, was.
    In der ersten Märzhälfte jagte Jim am Ufer Krebsen nach. Sie waren noch da, sogar im Winter, schienen jetzt aber schneller zu sein. Wenn er nach ihnen griff, verzogen sie sich seitwärts in eine Spalte und verschwanden. Erst nach einer ganzen Weile wurde ihm klar, dass nicht die Krebse schneller geworden waren, sondern er langsamer. Er hatte seit einer knappen Woche keine richtige Mahlzeit mehr zu sich genommen. Er hatte sich hauptsächlich von Algen und Wasser ernährt. Und die Monate davor hatte er sparsam gelebt. Das war ein Fehler gewesen. Er hatte sich zu sehr geschwächt. Er ging in die Hütte zurück und überlegte, wie er die Krebse überlisten konnte.
    Am nächsten Tag suchte er nach den Babys. Er hob Steine hoch, und siehe da, wie er gehofft hatte, fand er hin und wieder kleine Kolonien von Babykrebsen, die zu klein waren, um vor ihm zu fliehen. Er nahm eine Handvoll, und da er nicht wusste, wie er sie auf seine übliche Art ausnehmen sollte, aß er sie einfach ganz, zermalmte sie und schluckte sie mitsamt Schale und Innereien hinunter.
    Bald kacke ich Muschelketten, sagte er zu ihnen. Das wird richtig hübsch. Er kaute ordentlich, damit die Stücke nicht zu groß wieder rauskamen.
    An Roys Grab sprach er lange über Roys Mutter, wie sie sich kennengelernt hatten und was schiefgelaufen war. Sie war erst meine zweite richtige Freundin, ehrlich, erzählte er Roy. Mein Bruder meint, das war ein Fehler, gleich die zweite zu heiraten, und wahrscheinlich hat er recht. Es ist so, dass die erste mich abserviert hatte, und da hatte ich wohl die ganze Zeit Angst, als ich mit deiner Mutter zusammen war. Und es gab so manches, was von vornherein nicht passte. Ihre Eltern, zum Beispiel. Die mochten mich nicht, fanden mich zu bäuerlich, weil sie Geld hatten. Vor allem mit deinem Großvater kam ich nicht klar. Der Mann war ein Arschloch. Deine Mom wollte ihn nicht kritisieren, aber er hat ständig seine Frau geschlagen und noch anderen Dreck am Stecken gehabt. Darüber konnten wir nicht reden. Und insgesamt wollte sie, dass ich mehr rede, sie mehr unterhalte. Ungefähr nach einem Jahr Ehe erzählte sie mir, sie hätte einfach erwartet, dass ich irgendwann was Interessantes zu sagen habe. Das hört man ja nicht so gern. Ich glaube, sie hat über ihre Worte nicht immer groß nachgedacht. Egal.
    Jim sprach gerade mit Roy, als er hörte, wie das Boot näher kam und langsamer wurde. Er stand auf und trottete so schnell er konnte zum Strand, dann aber blieb er stehen. Er konnte es hören da draußen, den untertourigen Motor, wahrscheinlich nahmen sie die Hütte in Augenschein, aber er konnte sich nicht entschließen, ganz hinunterzulaufen und sie herbeizuwinken. Das war heute irgendwie zu viel. Er war noch nicht bereit. Er versteckte sich im Wald und wartete unsicher, dann hörte er den Motor aufheulen, und das Boot war weg.
    Jim ging zum Grab zurück. O Gott, sagte er. Ich kann nichtfassen, was ich da gerade getan habe. Irgendwas stimmt nicht. Ich bin noch nicht bereit, jemandem von dir zu erzählen.
    In der Nacht lag er unter all seinen Decken und fragte sich, wie es weiterging. Er konnte nicht hierbleiben und hungern, allerdings hatte er sich heute Nachmittag gerade dafür entschieden. Er konnte Roy nicht ewig verstecken. Roys Mutter und Schwester mussten benachrichtigt werden. Jim war so verwirrt, dass er zum ersten Mal seit Wochen weinte. Ich habe einfach keine Ahnung, sagte er immer wieder laut zur Zimmerdecke.
    Am nächsten Tag blieb er im Bett und ging nicht ans Grab. Er jagte auch keine Krebse und nahm auch nichts zu sich. Er wollte immer wieder aufstehen, aber draußen war es kalt, und er war mit seinen Tagträumen beschäftigt, die er weiter fortspann, und schloss die Augen, bis die Nacht anbrach und er noch im Bett lag.
    Er dachte an Lakeport, die Highschool und die vielen Stunden, die er bei Safeway gearbeitet hatte. Das hatte ihm ganz schön gestunken, er wusste, dass es Zeitverschwendung war, dass es nichts brachte, weil er am Ende sowieso was anderes machen würde. Und Mückentöten im Frühling. Er erinnerte sich, wie sie den Teich geölt und

Weitere Kostenlose Bücher