Im Schatten des Vaters
Insektenspray versprüht hatten, um die Mücken unten zu halten. Große Behälter mit Chemikalien. Er fragte sich jetzt, was da drin gewesen war. Bestimmt nichts Gutes.
Damals hatten seine Nebenhöhlenbeschwerden angefangen. Chronische Entzündungen und dann die Kopfschmerzen. Die waren jetzt wieder da, die Kopfschmerzen. Das hatte ihn dem Selbstmord am nächsten gebracht, dieser Schmerz im Kopf. Dem war unmöglich zu entgehen, man konnte einfach nicht drüber hinwegschlafen. Seit schätzungsweise zwanzig Jahren konnte er nun schon nicht mehr richtig schlafen.Er hätte sich operieren lassen sollen, aber die Vorstellung gefiel ihm nicht. Als Zahnarzt hatte er zu viele Patienten bearbeitet. Er wusste, wie brutal Eingriffe waren, und kannte die schrecklichen Risiken.
Eine weitere, sogar noch frühere Erinnerung betraf das Boot, das sie auf dem See liegen gehabt hatten, ein altes umgebautes Marineboot aus den 1920er Jahren. Sie hatten den Rumpf neu beplankt, fuhren an warmen Sommernächten hinaus und sangen da draußen auf dem Wasser. Genau das hätte er jetzt gern, das hatte er Jahrzehnte nicht gehabt: eine Gemeinschaft und einen festen Ort und das Gefühl, dazuzugehören. Wo war das abgeblieben?
Am nächsten Tag stand er auf und suchte nach Krebsen. Jetzt, bei Ebbe, gab es eine Menge zur Auswahl. In einem Tümpel fand er eine Art kleinen Felsenbarsch, den er schließlich mit einem Stock tötete. Er war stachelig, aber er nahm ihn an Ort und Stelle mit seinem Taschenmesser aus und verspeiste ihn roh. Dann setzte er sich schmatzend in die Sonne, die sich ausnahmsweise zeigte. Das war verdammt gut, sagte er. Das war mal eine Mahlzeit.
Er rundete sie mit Algen ab, ging in die Hütte, um Wasser zu trinken, und dann Roy besuchen. Hab in letzter Zeit nicht mehr so viel an dich gedacht, erzählte er Roy. Hab mehr über mich nachgedacht, als ich in deinem Alter war. Wie ich direkt vorm Haus Enten gejagt habe. Sonnenbarsche und Wels nachts auf dem Pier mit einer Laterne. An all das habe ich auch gedacht. Mir scheint, ein Leben ist eigentlich viele Leben, und das summiert sich, da kommt ordentlich was zusammen. Mein damaliges Leben war überhaupt nicht wie mein jetziges Leben. Ich war jemand anders. Allerdings macht es mich traurig, und das ist wohl auch der Grund, weshalb ich das alles anspreche, dass du gar keine anderen Lebenmehr bekommst. Du hattest höchstens zwei oder drei. Frühe Kindheit in Ketchikan, dann das Leben mit deiner Mutter in Kalifornien nach der Scheidung. Das macht zwei. Vielleicht war das hier draußen mit mir der Anfang vom dritten. Aber weißt du, du hast dich umgebracht, ich hab dich nicht umgebracht, das hast du jetzt davon.
Den restlichen Nachmittag stöberte Jim im Schuppen herum und nahm all die rostenden Werkzeuge und verschiedenen Basteleien in Augenschein. Er unternahm mehr, vor allem, weil es seltsam warm war. Normalerweise blieb er nicht so lange draußen. Aber im Grunde war der Winter im Südwesten nicht der Rede wert. Er hatte sich mit dem Depot und alldem verrückt gemacht. Hier draußen zu überleben, war gar nicht so schwer.
Eine Zeitlang schien Jim weder Gedanken noch Erinnerungen nachzuhängen. Er blieb im Bett und starrte an die Decke. Wenn er rausging, starrte er die Bäume an oder die Wellen. Das Wasser war ruhig, keine Schaumkronen. Mehr Brandung als Wellen zuweilen, das Wasser grau und undurchsichtig und kompakt. Manchmal saß er bei Roy, aber gesprochen wurde nicht mehr. Er war bereit, in sein Leben zurückzukehren, zu anderen Menschen.
Doch er blieb. Ein Sturm zog eine Woche lang über die Insel hinweg, und er hatte nichts zu essen. Er wollte nicht rausgehen. Die Hütte schien unter dem Druck nachzugeben. Hagel prasselte gegen die Scheiben, Regen, Schnee, ungeheuerliche Winde, die ganze Zeit dunkel. Er hasste diesen Ort. Er wollte einen Jacuzzi.
Als der Sturm endlich aufhörte, war er so verzweifelt und ausgehungert, dass er beschloss, das Feuer zu legen. Zwar war alles nass, dennoch ging er mit seinem Reservekanister und einer Schachtel Streichhölzer in den Wald. Unterwegs verschnaufteer mehrmals. Er fand eine Stelle mit viel totem Holz und eng gruppierten Bäumen, tränkte so viel Holz wie möglich mit dem Sprit, entzündete ein Streichholz und trat zurück, sobald es aufflackerte. Als die Flammen das Totholz verschlangen und die kleinen Bäume hinaufleckten, fing er aufgeregt an zu schreien. Die Hitze war wunderbar. Zum ersten Mal seit dem Sommer richtig warm, so kam es
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