Im Schatten des Verrats (Hazel-Roman) (German Edition)
musste anerkennend feststellen, dass Lady Burchington wirklich Geschmack hatte. Das ganze Haus war, angefangen mit der Anordnung und Auswahl der Blumen in der Eingangshalle, wirklich exquisit eingerichtet und ganz ohne den Beigeschmack des Kitschigen.
In der Biegung des Treppenaufgangs hing ein lebensgroßes Bild der Göttin Fortuna, dargestellt als schönes junges Mädchen, das im weißen Gewand leichten Fußes über eine Wiese schritt und das Glück in Form verschiedenster Blumen aus ihrem Füllhorn ausschüttete. Hazel erkannte das Bild als ein Werk des derzeit in Mode gekommenen Joshua Reynolds, es musste aber schon etwas älter sein, denn der Firnis hatte, wie Hazel sehen konnte, als sie dicht daran vorüberging, an einer Stelle links unten schon etliche haarfeine Risse.
Als Hazel nach oben zu dem erleuchteten Saal aufblickte, schien es ihr für einen Moment, als stünde dort im Gegenlicht eben jenes Mädchen aus dem Bild, aber als sie, hinter Cecily die Treppe hinaufschreitend, näher kam, wurde ihr klar, dass es sich um Lady Burchington, ihre Gastgeberin, handeln musste.
Während Jeremy sich an das Versprechen hielt, das er Hazel gegeben hatte, und sich bei der Begrüßung zurückhaltend benahm (denn Hazel wollte nicht riskieren, dass sie hinauskomplimentiert wurden, bevor sie etwas zu essen bekommen hatten), schaute Hazel nochmals über ihre Schulter zurück auf die Fortuna, allem Anschein nach Lady Burchingtons Jugendbild, und sann darüber nach, wie es möglich war, ein halbes Dutzend Kinder zur Welt zu bringen, ohne diese mädchenhafte Figur oder diese tadellosen Zähne zu verlieren.
So richtete sie, als sie hinter Cecily auf Lady Burchington zutrat, ihren Blick bewundernd auf ihre Gastgeberin. Die Frisur war zwar nur demi-toilette und nicht gepudert, aber sehr elegant hochgesteckt und umschmeichelte sanft die noch immer schönen Gesichtszüge der Dame, das Kleid mit Pariser Chic war in einem dezenten Altrosa gehalten, die Brüsseler Spitze hauchdünn, im runden Dekolletee blitzten Diamanten. Hazel wünschte sich, sie könnte auf ebenso elegante Weise älter werden. Sie war sich nicht bewusst, welch große Bewunderung in ihrem offenen Blick lag, und dass sie, da sie dermaßen in Gedanken versunken war, Lady Burchington eine Spur länger angesehen hatte, als man es gemeinhin bei der Vorstellung einer Person tat.
Es war indessen schon einige Jahre her, dass Lady Burchington zuletzt von einem jungen Mann auf diese Weise angeschaut worden war. Und da sie den Saal durch eine Vielzahl von Leuchtern hatte erhellen lassen, so kam sie in den vollen Genuss, von einem grün aufleuchtenden Augenpaar betrachtet zu werden, das von langen, mädchenhaften Wimpern beschattet wurde, als Mr. Hawthorne "Lady Burchington" murmelte und sich anschickte, sich über ihre Hand zu neigen. Als Hazel sich von ihrem artigen Handkuss aufrichtete, waren Lady Burchingtons Wangen zart errötet, ihre Lippen, die sie mit der Zunge nervös befeuchtet hatte, glänzten, und spätestens, als sie zu Mr. Hawthorne aufblickte (denn natürlich war Hazel einen Kopf größer als sie), kam sie mit ihrer Nase in den vollen Duftbereich des Parfüms, das Hayward für Matthew vorgesehen hatte.
Weil Hazel nicht wusste, was sie sagen sollte (denn sie hatte den Worten, die Lady Burchington mit Cecily gewechselt hatte, nicht im mindesten Beachtung geschenkt), stellte sie verlegen lächelnd fest: "Sie sind die Fortuna auf dem Reynolds-Bild in der Halle, nicht wahr?"
Lady Burchington warf mit einem mädchenhaften, hellen Lachen den Kopf in den Nacken. "Für Ihr Alter sind Sie bemerkenswert firm in kunsthistorischen Fragen", stellte sie fest und fügte, eine Terz tiefer, hinzu: "Vor Ihnen ist das noch niemandem aufgefallen."
"Aber ich kann doch unmöglich der erste junge Mann sein, der eine Göttin erkennt, wenn er sie sieht", erwiderte Hazel erstaunt.
Lady Burchingtons Büste hob sich.
"Mr. Hawthorne ...", flüsterte sie und versank in der Tiefe von Hazels Augen.
Hazel erschrak zutiefst, weil ihr in diesem Moment das Ausmaß des ganzen Missverständnisses bewusst wurde. Sie errötete gleichfalls, wobei ihr Farbwechsel durch pure Scham zustande kam, was hingegen trotzdem zur Folge hatte, dass Lady Burchington sich von Matthews vermeintlicher jugendlicher Verwirrung auf seltsame Weise in ihrer Seele tief berührt fühlte. Ihr Verstand sagte ihr, dass dieser außergewöhnliche junge Mann im Alter ihrer eigenen Söhne sein musste, dass sie mithin seine
Weitere Kostenlose Bücher