Im Schatten des Verrats (Hazel-Roman) (German Edition)
dass ich lüge", verlangte Hazel leise.
Lady Heather schaute völlig gebannt in dieses grüne Augenpaar, das mit solcher Leichtigkeit in ihre Seele blicken konnte, und atmete tief ein, wie ein Taucher, der nach langer Zeit an die Oberfläche zurückkehrt.
"Nein, Sie haben Recht: ich liebe ihn seit langem", gestand sie leise. "Aber ich habe mich damit abgefunden, dass meine Liebe eben unerfüllt bleiben muss." Sie lachte nervös auf. "Warum erzähle ich Ihnen das alles?", fragte sie zitternd.
"Weil ich ein Fremder bin", sagte Hazel ruhig.
"Mr. Hawthorne ...", flüsterte sie bewegt.
"Weiß er von Ihren Gefühlen ihm gegenüber?", erkundigte Hazel sich sanft.
"Aber ... er muss es doch wissen ...", stammelte sie, "ich bin doch jeden Tag da ... und wir kennen uns schon so lange ..."
"Wie lange?", forschte Hazel ahnungsvoll.
"Fünf Jahre."
Hazel verdrehte die Augen. "Heather!", sagte sie, "damals können Sie bestenfalls dreizehn gewesen sein!"
"Zwölf", präzisierte sie. "Ja – und? Was wollen Sie damit sagen?"
"Dass Lord Marvin es vermutlich noch gar nicht gemerkt hat, dass Sie kein Mädchen mehr sind, sondern eine Frau."
Lady Heather starrte Hazel sprachlos an. Es war ihr anzusehen, dass sie diese neue Sichtweise erst verarbeiten musste.
"Und ich habe immer gedacht ...", stammelte sie.
Hazel folgte ihrem Blick zu Lord Marvin auf die andere Seite des Saals hinüber.
"Aber was soll ich tun?", murmelte Lady Heather.
"Sie müssen ihm zeigen, dass Sie eine Frau sind und die Gefühle einer Frau haben", meinte Hazel.
Lady Heather blickte auf. "Sie glauben ...?"
"Ich glaube, dass er bisher noch nicht auf die Idee gekommen ist, dass eine Siebzehnjährige bereit sein könnte, einen Witwer mit fünf Kindern zu heiraten."
Hazel nahm Lady Heathers Hand. "Und jedes Mal, wenn er Sie anspricht, sollten Sie ihn so anlächeln, wie Sie mich vorhin angelächelt haben", riet sie ihr munter.
Es war nicht so einfach, jemanden zu finden, der sie Lord Marvin vorstellen konnte. Eine weitere Schwierigkeit war, das Thema zu wechseln, nachdem Hazel ihm zur Eröffnung des Waisenhauses, diesem "großartigen Projekt", ihre Glückwünsche ausgesprochen hatte. Der Kerl war auf dieses Waisenhaus ziemlich fixiert. Immerhin konnte Hazel bald einschieben, dass sie gehört habe, Lady Heather ginge ihm tapfer zur Hand.
"Dieses Mädchen ist ja völlig verschossen in Sie", bemerkte Hazel leichthin.
"Wer?", erkundigte Lord Marvin sich irritiert.
"Lady Heather."
"Heather?", fragte er. "Ja, ein recht nettes Mädchen. Und tüchtig, überaus tüchtig und gewissenhaft. Keins von dieser leichtfertigen Sorte Mädchen, die es ja heutzutage leider nur zu oft gibt." Sein missbilligender Blick schweifte in die Richtung von Cecily ab. Plötzlich runzelte er die Stirn. "Was meinen Sie mit ‚verschossen‘?"
Hazel verdrehte die Augen. "Dass sie in Sie verliebt ist."
Lord Marvin schaute sie überrascht an. "Heather?", meinte er erstaunt. "Aber nein, Sie müssen sich irren. Sie mag mich nicht besonders. Immer, wenn ich sie anspreche, wird sie ganz kühl."
"Sie ist schüchtern ", erklärte Hazel.
"Schüchtern?"
"Glauben Sie mir. Ich erkenne ein schüchternes Mädchen, wenn ich eins sehe. Ich war früher selbst ziemlich schüchtern." Hazel räusperte sich erschrocken. "Obwohl, das bei einem Jungen natürlich etwas anderes ist als bei einem Mädchen", beeilte sie sich hinzuzufügen. "Jedenfalls ist sie eine tolle Frau."
"Eine tolle Frau ?", wiederholte er verwundert.
"Ja, finden Sie nicht?", meinte Hazel.
Nachdenklich starrte er Mr. Hawthorne an. "Doch ...", gab er zu.
"Ich werd‘ mal lieber ein bisschen auf sie aufpassen", sagte Hazel in vertraulichem Tonfall. "Nicht, dass so ein frecher Kerl sie noch in eine dunkle Ecke zieht und sie abknutscht."
"Abknutscht?"
Lord Marvins Art, jedes ihrer Worte zu wiederholen, war einigermaßen enervierend. "Ja", setzte Hazel trotzdem noch eins drauf. "Sie ist diese Art Mädchen, die man beschützen muss, weil sie selbst viel zu zart sind. – Bis später dann."
Lord Marvin hielt Hazel zurück. "Moment mal, junger Mann – Sie bleiben hier. Ich werde zu ihr gehen."
"Aber ich habe ihr den nächsten Tanz versprochen."
"Vergessen Sie’s", knurrte Lord Marvin unfreundlich.
Einigermaßen zufrieden mit sich ging Hazel davon.
Da sie ja nun von ihrer Tanzverpflichtung befreit war, beschloss sie, dass es an der Zeit war, Jeremy zu suchen. Außerhalb des Saals waren etliche Türen zu anderen Räumen geöffnet
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