Im Schatten des Verrats (Hazel-Roman) (German Edition)
"ich zeige Ihnen einen Raum, in dem Sie ungestört sind."
Er führte sie die Treppe hinauf. Obwohl Hazel ja bei dem Tanzabend schon im oberen Stockwerk gewesen war, gewann sie jetzt erst einen Eindruck von der Weitläufigkeit des Gebäudes. Es war nicht in einem Zug gebaut worden, sondern nach und nach erweitert, und so gab es Querflure und unsymmetrische Abzweigungen, die schließlich in einen Raum führten, in dem eine Serie von Nachttöpfen aufgereiht stand und sich etliche Schränkchen mit Handtüchern, Näpfchen und Tiegelchen befanden.
Hayward wies auf einen Nachttopf aus feinstem Porzellan. "Der hier mit dem blauen Muster wird wegen seiner Form von Herren meist bevorzugt", sagte er, ohne sich das Grinsen ganz verkneifen zu können. "Lassen Sie alles stehen, die Dienerschaft kümmert sich darum."
Kaum dass Hayward die Tür hinter sich geschlossen hatte, zerrte sich Hazel die Hose hinunter und begann sich aufatmend in einen der Nachttöpfe hinein zu erleichtern.
Als sie ihre Hose zuknöpfte, merkte sie, dass ihre Hände zitterten. Die Anspannung der letzten Stunde forderte nun wohl ihren Tribut. Im Flur warf Hazel darum, als sie an einem Spiegel vorbeikam, einen prüfenden Blick hinein. Ihre Wangen waren ziemlich gerötet, aber sonst war ihr nichts anzumerken. Naja, schlimmer konnte es jetzt ja nicht mehr werden. Sie würde sich nur noch schnell von Hayward verabschieden und gehen – und nie mehr wiederkommen.
Und mit diesem Entschluss trat sie hinaus in den Flur und öffnete die Tür zum Treppenhaus.
Das heißt: da hätte das Treppenhaus sein sollen, aber stattdessen befand sie sich in einem kleinen, als Bibliothek eingerichteten Raum.
Hazel fluchte und wollte schon umkehren, als eine tiefe Stimme fragte: "Kann ich Ihnen behilflich sein?", und sich aus dem zum Fenster hin gerichteten Ohrensessel der Bischof von London erhob.
Verlegen, denn natürlich musste er ihr Fluchen gehört haben, antwortete Hazel: "Oh, Verzeihung. Ich fürchte, ich habe mich verlaufen. Ich suche die Treppe nach unten."
"Die ist einen Flur weiter. Warten Sie, ich zeige es Ihnen."
Er kam auf sie zu.
"Es ist mir so peinlich!", entschuldigte Hazel sich. "Mir passiert heute eine Ungeschicklichkeit nach der anderen."
Er lächelte nachsichtig und unter dem gütigen und freundlichen Blick seiner braunen Augen fühlte sie plötzlich Tränen in sich aufsteigen. "Ich wollte gar nicht hierher kommen!", gestand sie. "Hayward hat mich dazu gedrängt ... Oh, Gott, keinen Fettnapf habe ich ausgelassen! Ich bin wie der letzte Tölpel durch den Salon getrampelt."
"Aber nein – Sie waren wunderbar", versicherte ihr Lord James, "so unverdorben und natürlich und ... einfach liebenswert ..." Diese Einschätzung ließ Hazels Selbstbeherrschung völlig zusammenbrechen. "Es ist alles so furchtbar!", schluchzte sie, verzweifelt bemüht, die Tränen noch zu stoppen. Sie schloss die Augen und presste die Finger an ihre Augenwinkel.
Als sie wieder aufblickte, schaute sie geradewegs in seine wundervollen Augen, die warm und voller Mitgefühl – nein: Zuneigung auf ihr ruhten. Und im nächsten Moment – ohne dass sie später hätte sagen können, ob wirklich er es war, der den Anfang gemacht hatte - fühlte sie seine warmen Lippen auf den ihren, er küsste sie fest, aber zärtlich, verlangend, aber nicht heftig, und Hazel, die noch niemals auf diese Weise geküsst worden war, ergab sich aufseufzend seinen Zärtlichkeiten und sank zitternd in seine Arme und erwiderte seine Küsse mit zunehmender Leidenschaft.
Aber plötzlich hielt er atemlos inne, schaute sie - zur Besinnung gekommen – entsetzt an und keuchte: "Gott im Himmel! Wie konnte das passieren?"
Der Moment des Zaubers war vorbei. Hazel fuhr bestürzt zurück. Einen Bischof in Versuchung geführt zu haben, das fehlte gerade noch auf ihrer Liste von Fehltritten an diesem Tag ...
"Vergeben Sie mir!", flüsterte sie zutiefst beschämt, drehte sich abrupt herum und stürzte hinaus. Sie nahm die nächste Abzweigung im Flur, landete diesmal richtig im Treppenhaus und rannte hinunter in die Halle, ohne sich zu Lord James umzudrehen, der ihr verstört gefolgt war, aber oben stehen blieb, als er seinen Bruder gewahrte, der unten in der Halle wartete.
"Ich wollte eben schon sehen, wo Sie bleiben", sagte Hayward zu Hazel.
"Tut mir Leid. Ich hab mich tatsächlich verlaufen." Sie ging auf die Haustür zu. "Vielen Dank für die Einladung", sagte sie förmlich und streckte ihm die Hand hin.
Er
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