Im Schatten des Vogels
bessergehe. Und er gelobt, niemals Gemeindevorsteher zu werden. Und auch nicht durch die Gegend zu streifen. Nur daheim bei mir zu sein. Immer. Wir wollen unser Zuhause mit Kindern, Musik und Lachen füllen.
Die Sonne geht gerade über dem Skriðuberg auf, als wir ins Tal kommen. Bringen die Hunde zum Schweigen. Halten uns ganz fest an den Händen.
Ich sitze auf der Torfmauer und blicke auf den Sander, sehe im Westen den Gletscher. Grüble darüber nach, ob ich den Pferden vor Tagen etwas anderes hätte zuflüstern sollen, bevor sie zum Handelsplatz gezogen sind. Hätte ich Gráni darum bitten müssen, Papa im Kvíslarstrom abzuwerfen? Aus eigener Kraft hätte er sich wohl kaum retten können. Hätte ich Brúnn dazu bringen sollen, ihn auf dem Heimweg aus dem Sattel zu werfen, sturzbetrunken, bei den Drangarfelsen, wo es so viele Erdrutsche gibt? Dort wäre er nicht alt geworden. Hätte ich darum bitten sollen, dass ihn nach einem erfolgreichen Liebesakt in einem fremden Bett der Schlag trifft? Etwas Derartiges wäre mir nie in den Sinn gekommen – aber auch nicht, dass es eine solche Heimkehr werden würde.
Papa hatte eine Nähmaschine für Mutter dabei. Welch ein Prachtstück! Sie ist handbetrieben, steht auf einem Tisch und schnurrt wie ein Kätzchen, wenn man die Kurbel dreht. Er hat dunklen und hellen Stoff für Blusen, Stoffballen und sogar kuscheligen roten Samt und ein Stückchen grüner Seide mitgebracht. Bücher, Medikamente, neue Taschenmesser, ein Kartenspiel und Lebensmittel. Und er hat Neuigkeiten.
Am Hornafjord hat Papa von einer Truppe gehört,die über den Strom in den Westen reist, ausländische Forschungsreisende, die sich mit Erdgeschichte und Pflanzenwelt beschäftigen. Er hat sie gebeten, vorbeizukommen, damit Sveinn zu ihnen stoßen kann. Ich höre jemanden fragen, wann die Forschungsreisenden zu erwarten seien. Papa antwortet aus der Ferne: «Sie sind mir nachgeritten, werden heute bei uns übernachten. Wo ist Sveinn? Ich habe ein Medikament, das ihm helfen könnte.»
Der Vogel zwängt sich in meinen Hals. Er will raus, kann aber nicht. Vor lauter Flügelschlagen höre ich nichts mehr. Die Angst hat sich in Panik gewandelt. Muss mit Papa sprechen. Muss Sveinn finden. Rudere in der Luft herum. Dann wird mir schwarz vor Augen.
Als ich wieder zu mir komme, liege ich im Bett, und Einar sitzt am Bettrand. Er drückt meine Hände und juchzt: «Engel, ich dachte, du würdest sterben!» Dann weint er los.
Ich schaue ihn an. Würde ihn gerne umarmen, schaffe es aber nicht. Bibbere vor Kälte, dass die Zähne klappern. Möchte ihn bitten, mich zuzudecken, aber auch das gelingt mir nicht. Bringe kein Wort heraus. Spüre nur die heißen Tränen in meinem Gesicht. Es ist gut, dass Einar am Bettrand sitzt. Jedes Mal, wenn ich die Augen öffne, ist er dort.
Mutter sitzt bei mir. Sie sieht verweint aus. Ich weiß, dass sie mit Papa gesprochen hat. Weiß, dass sie für mich gekämpft, aber verloren hat. Sie versucht, mir etwas zu sagen, aber ich höre es nicht. Sehe sie an, niedergeschlagen, mit eingefallenen Wangen und roten Augen. Mutter hat in allen Schlachten gegen Papa verloren. Trotzdem lässt sie sich nie unterkriegen.
Als sie gegangen ist, setze ich mich auf, kämme mit schwachenHänden mein Haar und richte meine Kleidung. Schaue in den Spiegel. Heute lassen sich keine Grübchen blicken.
An der Hoftür stoße ich auf Papa.
«Wo gehst du hin, mein kleiner Engel?», fragt er und umarmt mich. Ich antworte ihm nicht. Bin wacklig auf den Beinen und dankbar für die Stütze. Wir gehen ins Gesellschaftszimmer. Er holt seine Arzttasche, ein Glas und einen Krug Wasser. Setzt sich direkt vor mich und verabreicht mir bittere Tropfen in Wasser.
«Ich bin mit Sveinn verlobt», sage ich entschlossen und starre aus dem Fenster.
«Nicht mehr.» Er sieht mich mit durchdringendem Blick an.
«Doch, sicher!» Ich löse meine Augen vom Fenster und hefte sie auf ihn.
«Sveinn und ich, wir haben miteinander geredet», sagt er. «Das musst du mich entscheiden lassen.»
Ich habe das Gefühl, zu ersticken, kann gerade noch flüstern: «Was hat er gesagt?»
«Er ist ein vernünftiger Mann. Hat eingesehen, dass ich recht habe. Hast du geglaubt, dass ich meinen Schatz einen schwindsüchtigen Mann heiraten lasse? Er wird nie für dich sorgen können. Das ist doch kein Leben!» Papa ist laut geworden, fuchtelt mit den Händen herum.
Die kleinen Fensterscheiben kommen auf mich zugeflogen, doch Papa fängt mich auf,
Weitere Kostenlose Bücher