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Im Schatten des Vogels

Im Schatten des Vogels

Titel: Im Schatten des Vogels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anika Lüders
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stammt aus einer bitterarmen Familie. Aber ich habe gehört, dass sie fleißig sein soll. Er hat sich durchgeschlagen und aus eigener Kraft das Tischlern gelernt. Weiß, was es heißt, arm zu sein, und geht sorgsam mit jeder einzelnen Krone um, die er sich erarbeitet. Doch eines ist sicher: Wenn Vigfús entscheiden könnte, würde er Hulda keine Milch bringen.
    Als ich nach Hause komme, bin ich beschwingter. Auch in den nächsten Tagen besuche ich Hulda, sehe niemanden, höre aber fröhliches Lachen im Elfenstein. Das fasse ich als Zeichen der Freundschaft auf, und ich fühle mich besser. Dies ist nicht länger Sveinns und mein Versteck, sondern meine Welt, mein Volk. Und eines Abends bringe ich Hulda ihre Milch. Mutter sieht mich erstaunt an, doch ich tue, als würde ich es nicht bemerken. Und als es so weit ist, werde ich nicht traurig. Ich bin jetzt in einem anderen Leben, Sveinn gehörte zum vorherigen …
    Ein wenig später gebe ich Vigfús mein Jawort und bin gerührt, als ich seine Freude sehe. Wir sind draußen. Er lacht ausgelassen, wirbelt mich im Kreis herum und sieht mich mit strahlenden Augen an. Ganz anders als der umgängliche Mann, den ich kenne. Sagt, dass er mich glücklich machen werde. Ist auf einmal redselig und temperamentvoll. Er weiß, dass ich den Hof nicht verlassen will. Ich mache es zur Bedingung, dass wir bei Papa und Mutter wohnen bleiben. Immer. Das macht ihm keine Sorgen. Nichts macht ihm Sorgen, solange ich seine Frau werden will. Weiß genau, dass es im neuen Haus Platz für uns alle gibt.
    Falls Papa mit dieser Partie einverstanden ist.
    Papa lässt sich Zeit mit seiner Antwort im Bezug auf Vigfús. Mutter hingegen freut sich von ganzem Herzen. Strahlt wie die Sonne, steckt ihr Haar hoch, zieht das dänische Kleid an und backt Rosinenküchlein. Trotz allem hat Papa noch nicht geantwortet. Ich stürze mich in die Näharbeit. Möchte im blauen Samtgewand heiraten. Fange mit dem Kopfschmuck an.
    Einige Tage vergehen. Papa macht ein mürrisches Gesicht, verlässt den Hof und spricht mit irgendwelchen Leuten. Müht sich mit seinen Tropfen und Salben ab. Hat viel zu tun. Muss ein Pferd im Osten der Gegend heilen und einer Frau in der Vellirregion Tropfen bringen. Er ruft mich nicht zu sich, und ich tue so, als wenn nichts wäre. Mutter und Papa reden lange hinter verschlossener Tür. Diesmal ist Mutter nicht tränennass. Sie ist entschlossen, geht erhobenen Hauptes und gelassener als früher an die Sache heran.
    Dann ruft Papa Vigfús zu sich und gibt ihm, ohne dass ich dabei bin, meine Hand. Erlegt ihm harte Bedingungen auf, über die Vigfús nicht sprechen möchte. Er nimmt sie leicht, nimmt alles leicht in diesen Tagen. Sie beschließen, dass die Hochzeit Ende Oktober stattfinden soll, nach Schafabtrieb und Schlachtsaison, und Vigfús schenkt mir als Treuepfand einen vergoldeten Gliedergürtel mit langem Anhänger.
    Ich bin verblüfft. Hätte nicht gedacht, dass Vigfús so großzügig ist. Gliedergürtel mit Anhänger sind teuer. Er wird vor Glück tiefrot, als er meine Freude sieht, nimmt mich fest in den Arm und lächelt leicht verschlagen. Ich stutze kurz. Wann hat er den Gürtel gekauft? War er so siegessicher?
    Zwei Abende später bringe ich Papa Kaffee ins Arbeitszimmer, wo er mit seinen Fläschchen hantiert. Seit die Hochzeit beschlossene Sache ist, hat er so getan, als würde er mich nicht sehen. Papa gießt etwas Kaffee zum Abkühlen auf die Untertasse, hebt sie und sieht mich an, während er trinkt. Mir fällt auf, dass seine warmen Hände nicht mehr stark sind. Weiß auch, dass sein Sehvermögen nachlässt.
    «Du hast in letzter Zeit Hulda besucht», sagt er mit heiserer Stimme und gießt noch mehr Kaffee auf die Untertasse. Etwas tropft herunter, doch ich tue, als würde ich es nicht sehen.
    «Schon …», sage ich bloß.
    «Es ist besser, sie auf seiner Seite zu haben, als gegen sich», fügt er hinzu.
    Ich nicke.
    «Besuch sie weiter.» Wieder tropft etwas herunter. «Irgendwann könntest du sie mal brauchen.»
    Ich nicke noch einmal, antworte aber nicht. Er schlürft schweigend.
    «Ich möchte dich in meine Tropfen und Salben einführen», sagt er plötzlich.
    Ich sehe ihn verwundert an. Wollte über die Hochzeit sprechen.
    «Ich glaube, du könntest eine gute Homöopathin werden», fügt er hinzu und setzt die Untertasse ab. «Jemand muss meine Nachfolge antreten.»
    Ich habe kein besonderes Interesse an Homöopathie, habe genug mit dem Schneidern und dem Haushalt zu

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