Im Schatten dunkler Mächte
Dunkle Zone. Drei solcher Zonen habe ich in der Stadt gefunden.«
»Du erfindest die coolsten Namen. Ist es dir nicht unheimlich, dass die Schatten so nah sind?«
»Mir ist unheimlich, dass es sie überhaupt gibt. Hast du gesehen, was sie übrig lassen?«
Dani schauderte. »Ja. Rowena hat mich einmal mit einem Team losgeschickt, um eine von uns zu suchen, die es abends nicht bis nach Hause geschafft hat.«
Ich schüttelte den Kopf. Sie war zu jung, um dem Tod so oft zu begegnen. Sie sollte in Jugendzeitschriften schmökern und über süÃe Jungs nachdenken. Unter den Reklamezetteln fand ich ein Kuvert, von dessen Art ich schon mal eins gesehen hatte: dick gefüttert, schlicht, weiÃ.
Kein Absender.
Ein Dubliner Poststempel von vor zwei Tagen.
M AC K AYLA L ANE c/o B ARRONS B OOKS AND B AUBLES , stand auf der Vorderseite. Mit zitternden Händen riss ich den Umschlag auf.
Ich habe heute Abend mit Mac gesprochen.
Ich schloss die Augen, um mich mental auf das Kommende vorzubereiten. Nach ein paar tiefen Atemzügen öffnete ich sie wieder.
Es war soooo gut, ihre Stimme zu hören! Ich sah sie vor mir, wie sie auf ihrem Bett mit dem regenbogenfarbenen Quilt lümmelte, den Mom ihr vor Jahren genäht hat und der mittlerweile schon vom vielen Waschen an den Rändern ausgefranst ist â trotzdem weigert sich Mac standhaft, ihn auszusortieren. Als ich die Augen zumachte, konnte ich sogar den Karamell-Apfel-Kuchen mit den Pekannussstreuseln riechen, den Mom in der Küche gebacken hat. Ich hörte Daddy im Hintergrund â er sah sich mit dem alten Marley von nebenan ein Baseballspiel an, und sie feuerten die Braves an, als würde ihre Fähigkeit, den Korb zu treffen, allein von ihrer Lautstärke abhängen. Zu Hause â es kommt mir vor, als wäre es eine Million und nicht nur viertausend Meilen von mir entfernt. Nur acht Stunden Flug, und ich könnte Mac sehen.
Wem will ich was vormachen? Mein Zuhause ist eine Million Welten weit weg. Und ich sehne mich so sehr, Mac alles zu erzählen. Ich möchte ihr sagen: Mac, komm her. Du bist eine Sidhe-Seherin. Wir wurden adoptiert. Ein Krieg steht bevor, und ich versuche, ihn zu verhindern, aber wenn mir das nicht gelingt, werde ich dich ohnehin herholen müssen, damit du uns in dem Kampf hilfst. Ich wollte sagen: Mac, ich vermisse dich mehr als alles andere auf der Welt, und ich liebe dich so sehr. Doch wenn ich das täte, würde sie wissen, dass hier etwas nicht stimmt. Es ist so schwer, ihr all das zu verheimlichen, weil sie mich so gut kennt. Am liebsten würde ich durchs Telefon die Arme ausstrecken undmeine kleine Schwester an mein Herz drücken. Manchmal habe ich Angst, dass ich das nie wieder tun kann. Dass ich hier sterben werde und so viele Dinge unausgesprochen und unerledigt bleiben. Aber ich darf nicht so denken, denn â¦
Ich knüllte das Papier zusammen. »Pass kurz auf den Laden auf, Dani«, blaffte ich und stürmte ins Badezimmer.
Ich schlug die Tür hinter mir zu, schloss ab, setzte mich auf die Toilette und legte den Kopf auf die Knie. Nach einer kleinen Weile putzte ich mir die Nase und trocknete die Augen. Alinas Handschrift, ihre Worte, ihre Liebe zu mir â das alles hatte mein Herz durchbohrt wie ein scharfes Messer. Wer schickte mir diese dummen, quälenden Seiten â und aus welchem Grund?
Ich strich das Stück Papier auf meinem Schenkel glatt und las weiter:
⦠wenn ich das tue, werde ich die Hoffnung verlieren, und Hoffnung ist alles, was ich noch habe. Heute Nacht habe ich etwas Wichtiges gelernt. Ich dachte, ich suche das Buch, und das wärâs. Aber jetzt weià ich, dass wir das, was einmal war, neu erschaffen und die Fünf, die von der Haven-Prophezeiung vorausgesagt wurden, finden müssen. Das Sinsar Dubh allein ist nicht genug. Wir brauchen die Steine und das Buch und die Fünf.
Damit war der Text zu Ende. Auf der Rückseite stand nichts.
Ich starrte auf das Blatt, bis mir die Zeilen vor den Augen verschwammen. Wann endete die Trauer? Hörtees jemals auf? Oder wurde man nur taub von dem groÃen, nicht enden wollenden Schmerz?
Vernarbten emotionale Verwundungen irgendwann? Ich hoffte es. Gleichzeitig fürchtete ich mich davor. Ich würde die Liebe zu meiner Schwester verraten, wenn ich an sie denken könnte, ohne zu leiden. Wenn es nicht mehr wehtut, bedeutet das dann, dass ich meine
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