Im Schatten dunkler Mächte
wollüstig. Sie erinnerte mich an einen alternden Filmstar aus einer längst vergangenen Zeit, als Schauspielerinnen den Titel »Diva« noch verdient hatten.
Meine »Lautstärke« war wieder ganz aufgedreht. Die Frau aà auch Feenfleisch.
Jetzt wusste ich es: Barrons mochte die Frau, die er aus dem Spiegel gebracht hatte, getötet haben, aber Fiona hatte er nicht auf dem Gewissen.
Ich öffnete Barrons Books and Baubles um Punkt elf Uhr mit einer neuen Frisur. Ich hatte meine Haare diesmal um eine Nuance heller als »Arabian nights« gefärbt und sah jetzt ungefähr so alt aus, wie ich war. Das Schwarz hatte mich älter gemacht, insbesondere wenn ich knallroten Lippenstift dazu trug. Dann lief ich zum Friseur in derselben StraÃe, um mir einen neuen Schnitt verpassen zu lassen, und jetzt umrahmten fransige Strähnen mein Gesicht. Die Wirkung war feminin und weich â das genaue Gegenteil von dem, wie ich mich fühlte. Das restliche Haar hatte ich am Hinterkopf hochgesteckt. Die Frisur sah flott und lässig elegant aus.
Meine Nägel waren ganz kurz geschnitten, trotzdem hatte ich eine Schicht Perfectly Pink aufgepinselt und trug den dazu passenden Lippenstift. Trotz dieser Zugeständnisse an meine Leidenschaft für Mode kam ich mir in meiner üblichen Kluft â Jeans, Stiefel, ein schwarzes T-Shirt unter einem hellen Jackett, mit Speerim Holster und Taschenlampen im Hosenbund â mausgrau und langweilig vor. Mir fehlte es, mich schön herzurichten.
Ich saà auf dem Hocker hinter der Ladentheke und betrachtete die Gläser mit dem zappelnden Unseelie-Fleisch, die ich dort aufgereiht hatte.
An diesem Morgen war ich ungeheuer beschäftigt gewesen und hatte viel erledigt. Nach dem Besuch im Drugstore rannte ich in den nächsten Lebensmittelladen und kaufte Babynahrung, färbte meine Haare, duschte, leerte die Gläschen und spülte sie gründlich. Dann ging ich noch einmal hinaus, griff einen Rhino-Boy an, schnitt Fleisch aus seinem Arm und erstach ihn, um ihn von seinem Leid zu erlösen und sicherzustellen, dass er niemandem mehr von dem Menschenmädchen erzählen konnte, das sich Feenkräfte besorgte. Dann schnitt ich das Fleisch in mundgerechte Stückchen.
Hätte ich doch nur ein paar solcher Portionen bereitgestellt, nachdem ich Jayne damit gefüttert hatte, dann wäre Moira nicht gestorben. Falls etwas Unvorhergesehenes, Schreckliches passierte, während ich im Laden stand, war ich ab jetzt nicht mehr gänzlich unvorbereitet: Ich wollte eine Dosis Superkraft in meiner Nähe haben. Die Stücke würden niemals aufhören zu leben. Dies war meines Wissens der einzige Snack, der bis in alle Ewigkeiten frisch blieb.
Meine Jäger-und-Sammler-Expedition hatte nichts zu tun mit OâBannion oder Fiona oder der Tatsache, dass ich im Vergleich zu ihnen schrecklich schwach war. Es war eine vorausschauende, eine kluge MaÃnahme, die mir mein gesunder Menschenverstand geboten hatte. Ich zog den kleinen Kühlschrank, der unter der Ladentheke stand, etwas vor und versteckte ein paar Gläserdahinter, dann schob ich ihn wieder zurück. Andere wollte ich später in meinem Zimmer verstauen.
Nachdem ich die, die noch unter der Theke standen, einige Minuten, ohne zu zwinkern, angestarrt hatte, stopfte ich sie in meine Handtasche. Aus den Augen, aus dem Sinn.
Ich klappte meinen Laptop auf, schloss die Kamera an und lud die fotografierten Seiten herunter. Während ich wartete, rief ich noch einmal im Institut für Altsprachen an, um mich zu vergewissern, dass der Junge mit den verträumten Augen begriffen hatte, wie wichtig meine Nachricht an Christian war. Er beteuerte, dass ich ihm das bereits am Morgen deutlich genug gemacht hätte.
In den folgenden Stunden bediente ich Kunden. An diesem Vormittag war viel los, und ich verkaufte viel. Erst am frühen Nachmittag hatte ich Gelegenheit, mich hinzusetzen und mir die Seiten anzusehen, die Dani abfotografiert hatte.
Ich war enttäuscht, weil sie so klein, kaum gröÃer als Rezeptkarten waren. Die Zeilen waren eng beschrieben, und als ich anfing, die kleine, schräge Schrift zu entziffern, erkannte ich, dass es Seiten aus einem Notizbuch waren, auf denen jemand in schlechtem, gebrochenem Englisch Beobachtungen und Gedanken festgehalten hatte. Die Rechtschreibung brachte mich auf den Gedanken, dass der Autor keine richtige Schulbildung genossen
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