Im Schatten (German Edition)
die sie ihrem alten Chef entgegen gebracht hatten, immer erst aufgelockert, wenn er sich auf den Heimweg gemacht hatte. Der Neue würde sich bestimmt nicht abseilen. Und wie sollten sie in seiner Anwesenheit so locker und fröhlich werden wie früher? Und erst die Arbeit. Ob er ebenso viel Ehrgeiz und Fähigkeiten entwickeln würde wie sein Vorgänger? Valerie hatte selbst die meisten der Zeichnungen für das Leipzig-Projekt erstellt und sich dabei schon ein wenig über den veränderten Stil gewundert. Nun wusste sie, woher das gekommen war, denn ganz offensichtlich hatte Mark hier schon stark Einfluss genommen. Und sie musste zugeben, es gefiel ihr außerordentlich gut. Wenn er hielt, was der erste Eindruck versprach, würde sie sich keine Sorgen um die Zukunft ihrer Firma machen müssen.
Und tatsächlich, bereits in den ersten Tagen stellte sich heraus, wie viel Mark Mühlau von seinem Geschäft verstand. Er arbeitete sich in die laufenden Projekte ein, setzte sich immer wieder mit den einzelnen Mitarbeitern beziehungsweise Mitarbeitergruppen zusammen und ließ sich nicht nur den Stand der Arbeiten erklären, sondern brachte selbst gute Ideen mit ein. Er fuhr zu den Baustellen, um Kunden und Bauunternehmer kennen zu lernen, nahm an Besprechungen teil und schien in der übrigen Zeit fast pausenlos zu telefonieren oder Skizzen anzufertigen. Dennoch nahm er sich zwischenzeitlich immer wieder ein paar Minuten Zeit, um einen kleinen Plausch mit seinen Mitarbeitern zu halten. Er schwärmte für Valeries Kaffee, bewunderte die Bilder von Andreas Kindern, die auf ihrem Schreibtisch standen, und trug für Tina das frisch gelieferte Papier zum Kopierraum. Alles in allem war er freundlich, zuvorkommend und fleißig wie eine Arbeitsbiene. Und wenn er zwischendurch einmal auf die bestehenden Geflogenheiten in der Firma hingewiesen wurde, nahm er es gelassen und bemühte sich, zukünftig daran zu denken. Valerie arbeitete und redete ausgesprochen gern mit ihm. Er war charmant und hatte eine Ausstrahlung, wie sie es noch nie vorher erlebt hat. Sie konnte sich gut vorstellen, wie wenig Mühe er hatte, das Herz einer Frau für sich zu gewinnen. Außerdem stellte sie fest, dass sie sich nach den anfänglichen Befürchtungen morgens nun direkt auf die Arbeit freute, mehr noch als früher.
15 . August 2006
Dieser Mann weiß ganz genau, wie er einen zu nehmen hat. Mit seinem Charme würde er sogar eine Gazelle dazu bringen, mit einem Löwen Samba zu tanzen. Er braucht einen nur einmal anzulächeln, und schon schaltete das Gehirn aus. Himmel, ich dachte, in meinem Alter wäre man gegen so etwas immun. Immerhin ist der Kerl gut neun Jahre jünger als ich. Und mein Chef! Wieso zum Teufel mache ich mir eigentlich Gedanken darüber? Ich habe nichts weiter zu tun, als meinen Job zu erledigen. Und wenn er mich dabei tausend Mal anlächelt, mit diesem Lächeln, das einem die Schuhe auszieht. Seine lockere Art begeistert alle im Team. Es hat ja einen leicht amerikanischen Touch uns beim Vornamen zu nennen und gleichzeitig zu siezen, oder zumindest erinnert das an die deutschen Übersetzungen von amerikanischen Filmen und Büchern. Aber es gefällt mir gut, wenn ich ehrlich bin. Es bringt eine gewisse Nähe zum Team, ohne den Respekt zu verlieren. Er ist nicht nur ein hervorragender Architekt, sondern auch ein guter Teamchef.
Je öfter Valerie den Text auf ihrem Schreibtisch las, umso mehr war sie davon überzeugt, dass es so nicht zu machen war. Mark hatte ihr den Text gegeben, mit der Bitte, die passenden Unterlagen zusammenzustellen, um eine neue Mappe für Präsentationszwecke erstellen zu können. Kurz entschlossen nahm sie die Papiere an sich und ging, nachdem sie höflich geklopft hatte, in sein Büro.
» Probleme?«, fragte er freundlich.
» Ja allerdings«, antwortete sie fest. Die Anspannung angesichts der Kritik, zu der sie sich entschlossen hatte, ließ ihre Stimme beinahe unfreundlich klingen. »Ich finde, so geht das einfach nicht.« Sie hielt ihm das Papier entgegen, während sie sich auf den ihr zugewiesenen Besucherstuhl setzte. »Wir haben bisher immer …« Doch sie kam nicht weiter, denn Mark unterbrach sie:
» Was bisher hier gelaufen ist, zählt nur noch bedingt. Ich habe meine eigenen Vorstellungen, und Sie werden sich daran gewöhnen müssen, dass hier in Zukunft einiges anders läuft.« Er war immer noch sehr freundlich, doch nicht weniger entschlossen als sie.
» Sicher. Niemand erwartet, dass Sie
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