Im Schatten (German Edition)
Feierabend, das Wochenende und natürlich Urlaub. Die Freude war jedoch in der letzten Zeit weniger geworden. Noch vor einigen Monaten war zumindest ihre Tochter Katherine da gewesen und hatte ihr überschwänglich aus der Schule und später der Uni erzählt. Doch nun war es still um sie herum geworden. Norman hatte sein Mitteilungsbedürfnis bereits mit Beginn der Pubertät in andere Richtungen gelenkt und auch später nichts daran geändert. Werner hingegen schien es ihr immer noch übel zu nehmen, dass sie in ihrem Beruf aufging, während er selbst gelangweilt und unterfordert war. So hatte sie schon lange aufgehört, ihm aus der Firma zu erzählen, und in den wenigen gemeinsamen Gesprächen ging es meist um Alltagsdinge. Immer wieder hatte Valerie sich darüber geärgert, doch schließlich hatte sie es vermieden, ihm von Ereignissen zu erzählen, die ihr etwas bedeuteten. Natürlich war es wichtiger, wie der FC Sankt Pauli, oder wie auch immer der Verein heißen mochte, spielte, als die seelische Ausgeglichenheit von Werners Ehefrau. Nach Katherines Auszug nun fehlte ihr ein wichtiger Gesprächspartner, und so war sie immer öfter traurig und ohne große Erwartungen in die Freizeit gestartet. Die letzten paar Wochen allerdings hatte sie das Schweigen nicht mehr ausgehalten. Seit ihr neuer Chef die Bühne betreten hatte, konnte sie oft nicht mehr an sich halten und berichtete aufgeregt von den Veränderungen, aber auch von einigen amüsanten Begebenheiten in der Firma. Auch in dieses Wochenende startete sie angefüllt mit Erlebnissen, und so kam sie nicht umhin, beim gemeinsamen Abendessen in Erinnerung an den Tag vor sich hinzulächeln. Sie hatte an dem Tag sehr eng mit Mark zusammengearbeitet, und immer wieder hatte er sie zum Lachen gebracht. Werner registrierte ihre gute Laune mit einem geknurrten:
» Scheint ja in letzter Zeit mächtig viel Spaß zu machen, deine Arbeit.«
Valerie wollte sich partout die Laune nicht verderben lassen und antwortete:
»Macht sie auch. Mark hat heute ...«
Doch sie kam nicht weiter, denn Werner unterbrach sie spöttisch:
»Mark! Scheint ja ein ganz toller Hecht zu sein, dieser Mark. Klasse Chef, hervorragender Architekt. Und wahrscheinlich sieht er auch noch aus wie ein Fotomodell!«
Plötzlich w ütend über die unfreundliche Abfuhr stand Valerie auf, nahm ihren leeren Teller, stellte ihn in die Spülmaschine und verschwand im Wohnzimmer. Ja , dachte sie entschlossen, er sieht aus wie ein Fotomodell. Ein schönes Gesicht, super Ausstrahlung und absolut perfekte Figur. Ich wette, er schmeißt sämtliche Statistiken, nach denen Frauen den Männern angeblich zuerst auf die Hände gucken, über den Haufen.
Allerdings brachte der neue Chef auch eine entscheidende Wende mit in ihr Leben. Als erste Zeichnerin war sie es gewohnt, dem Chef im Büro nahezu ständig zur Verfügung zu stehen. Zwar war auch sie häufig auf Baustelle unterwegs, doch sie verließ für gewöhnlich als letzte der Kollegen die Firma und erst dann, wenn der Chef sie nicht mehr brauchte. Herr Burzig hatte immer früh am Morgen angefangen zu arbeiten und entsprechend auch nicht zu spät Feierabend gemacht. Er liebte die Abende mit seiner Frau, wie er Valerie einmal erzählt hatte. Oft hatte Frau Burzig ihn von der Arbeit abgeholt, und sie hatten gemeinsam einen Spaziergang gemacht. Mark Mühlau dagegen schien ein Nachtmensch zu sein. Er kam morgens als Letztes und hätte vermutlich auch noch bis Mitternacht gearbeitet, würde die Reinigungskraft ihm nicht regelmäßig zu verstehen geben, sie hätte die Räumlichkeiten nun gern für ihre Tätigkeiten zur Verfügung. Valerie traute sich nicht, das Büro früher zu verlassen, konnte sich aber auch nicht mit dem Gedanken abfinden, den Tag ebenfalls später zu beginnen, so sehr hatte sie sich daran gewöhnt. So kam sie oft erst spät nach Hause, was Werner überhaupt nicht gefiel. Genau das war dann auch eines Morgens um kurz vor neun Uhr das Thema eines Küchengesprächs, bei dem zufällig alle fünf Frauen des Betriebes versammelt waren und Valerie ihnen von einem heftigen Streit am Vorabend erzählte.
» Meine Güte, irgendwie muss ich deinem Mann ja direkt recht geben«, meinte Gesa, die junge Architektin. »Wenn du so weitermachst, wird ja dein Überstunden-Abfeiern länger als der Jahresurlaub.«
» Was soll ich machen?«, antwortete Valerie schulterzuckend und erklärte den anderen ihre Bedenken. Tina meinte nur, sie solle doch einfach später zur
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