Im Schatten meiner Schwester. Roman
war betäubt.
Die Sonne hatte sich schräg über den Fluss gesenkt, doch Robins Freunde blieben auf dem Rasen. »Jemand sollte ihnen danken.«
»Molly ist da unten.«
Kathryn versuchte sie zu sehen, doch ihre Augen waren zu müde. »Sie drängt auf eine Organspende.«
»Sie drängt nicht«, mahnte Charlie sanft, »sie sagt nur, dass Robin daran interessiert war.«
Was genau das war, was Kathryn nicht abtun konnte. Wenn es eines gab, das sie in den letzten Tagen über ihre Beziehung zu ihrer Tochter gelernt hatte, dann, dass es ihr an Ehrlichkeit gefehlt hatte. Hier war Ehrlichkeit. Sie konnte nicht leugnen, was auf diesem Führerschein stand, genauso wenig, wie sie den Inhalt von Robins Tagebüchern leugnen konnte.
»Was du vorhin gesagt hast, sie sich so vorzustellen, wie sie war? Könntest du das, wenn ihre Organe nicht mehr da wären?«, fragte sie.
»Natürlich«, antwortete er lebhaft. »Erinnere dich an meine Mutter – wie sehr sie gelitten hat, bevor sie starb, wie dünn und grau sie nach so vielen Operationen war? Ich sehe sie nicht mehr so. Ich stelle sie mir vor, wie sie war, bevor sie krank wurde. Das wird bei Robin auch so sein. Was ihre Organe angeht, so werden sie doch, wenn sie sie behält, nur schneller zu Staub zerfallen. Andere Menschen sie nutzen zu lassen wird ihr Leben verlängern.«
Das war ein tröstlicher Gedanke. »Dann bist du also für die Organspende?«
»Wahrscheinlich. Aber das kann auch nächste Woche oder nächsten Monat geschehen. Es muss nicht heute sein.«
Sie sah nach Norden, am Rasen vorbei zu einigen Birken, die schon langsam gelb wurden, und flüsterte: »Ich hoffe immer noch – es ist so schrecklich, es zu sagen –, ich hoffe, dass einer der Apparate nicht mehr funktioniert und der Alarm nicht losgeht und keiner hereingeeilt kommt, damit mir die Entscheidung abgenommen wird. Bin ich deshalb eine furchtbare Mutter?«
»Nein, Liebes, du bist menschlich. Das hier ist schwer.«
Sie wollte fragen, wann es leichter werden würde, doch die Frage hatte er bereits beantwortet. Es würde leichter werden, wenn sie Frieden mit der Situation geschlossen hatte. Sie würde an den Punkt kommen. Doch je näher sie kam, desto mehr Angst hatte sie.
Sie erinnerte sich an einen deutlichen Moment am Anfang ihrer Wehen bei der Geburt von Robin, als ihr klarwurde, dass sie tatsächlich ein ausgewachsenes Baby durch eine unglaublich kleine Öffnung aus ihrem Körper pressen würde. Was sie damals gefühlt hatte, Stunden nur, bevor sie Robin in der Welt willkommen hieß, war Panik gewesen.
Nun, da der Tod sich näherte, empfand sie dasselbe.
Molly hatte nicht geplant, sich zu Robins Freunden zu setzen. Sie war an den Klippen entlanggewandert, um sich die Zeit zu vertreiben, bis David kam, und da waren sie, winkten sie zu sich, umarmten sie, ließen sie Platz nehmen. Als sie sich gegen die unvermeidlichen Fragen wappnete, kamen keine. Diese Freunde kannten die Lage. Sie konzentrierten sich stattdessen auf Erinnerungen, und es waren gute Erinnerungen. Molly lachte sogar mit ihnen über einige.
Als sie David im Patio erblickte, eilte sie jedoch zurück. Sie hatte eine Mission.
»Du solltest dich deshalb gut fühlen«, bemerkte er mit einem Blick auf das Schild.
»Das tue ich auch. Konntest du deinen Freund erreichen?«
Er zeigte mit dem Kinn zum Gebäude, legte ihr locker die Hand auf den Arm und führte sie wieder zum Krankenhaus. Ein Stockwerk hinauf und den Korridor entlang zur Zentralstation, stellte er sie John Hardigan vor. John gehörte zum Ärztepersonal und war in den Vierzigern. David hatte seinen Sohn vor zwei Jahren unterrichtet. Sie hatten sich damals auf Anhieb verstanden und trafen sich seither ab und zu.
John führte sie in den kleinen Warteraum. Als die Tür zu war, warnte er: »Organspenden sind etwas sehr Persönliches. Wie viel wollen Sie wissen?«
»Was immer Sie mir erzählen können«, antwortete Molly.
Der Arzt warf David einen Blick zu.
»Was immer«, beharrte Molly. »Bitte.«
Mehr schien der Arzt nicht zu brauchen, um zu erkennen, dass sie es ernst meinte. »Organspenden sind der Stoff, aus dem die Träume sind«, begann er. »Wörtlich. In einem Jahr gibt es vielleicht viertausend Menschen, die auf zweitausend Spenderherzen warten, und viertausend Menschen, die auf tausend Spenderlungen warten. Lebern? Wahrscheinlich achtzehntausend Menschen warten. Sechstausend bekommen eine, und weitere zweitausend werden während des Wartens sterben. Und die
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