Im Schatten meiner Schwester. Roman
allein im Mittagsraum.«
»Sie lernt beim Mittagessen«, erklärte Wayne, »damit sie den Rest des Tages im Studio verbringen kann. Sie ist sehr konzentriert. Ich sehe nicht, was daran falsch sein soll, David, und wenn Sie sagen wollen, dass sie keine Freunde hat, dann irren Sie sich. Ihre Freunde sind Tänzer. Sie kommen aus dem ganzen Land, um an der Akademie zu tanzen. Sie sieht sie jeden Nachmittag.« Er runzelte die Stirn. »Reden andere Lehrer auch darüber?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe das Thema bei ihnen nicht angesprochen.«
»Gut. Bitte tun Sie das auch weiter nicht. Die Gesundheit unserer Tochter ist unsere Sache, nicht Ihre«, stellte er fest, und seine gute Laune war nun am Verschwinden. »Mir gefällt der Gedanke nicht, dass ein junger kinderloser Lehrer glaubt, er weiß etwas über meine Kinder. Ich habe fünf großgezogen und einen verdammt guten Job gemacht. Meine Kinder nehmen keine Drogen, sie fahren nicht betrunken Auto, meine Söhne haben Achtung vor Frauen, und meine Tochter hat eine Zukunft vor sich. Ich will nicht, dass Gerüchte aufkommen, nur weil ein Lehrer glaubt, er sieht etwas, über das man sich sorgen muss.«
Sein Telefon klingelte. Er legte die Hand darauf und blickte David erwartungsvoll an.
David war somit entlassen und verließ das Büro. Er ging die Treppe hinunter und hinaus in die Sonne, doch er fand keine Freude an dem herrlichen Tag. Er stand auf dem Bürgersteig mit den Händen in den Taschen und war enttäuscht von sich, weil er seinen Fall verpatzt hatte. Er hatte eine große Geste gemacht … und wofür?
Oliver konnte die große Geste machen und am Ende eine weitere renommierte Zeitung seinem Imperium hinzufügen. Seine Geschwister konnten eine große Geste machen und sich eine Beförderung verdienen. Selbst seine Mutter machte große Gesten, und ja, es waren oft welche der Wohltätigkeit, doch es funktionierte. Sie bekam Umarmungen für alles, was sie tat.
David wollte keine Umarmungen. Er hasste das Rampenlicht. Doch er war von ganzem Herzen Lehrer, vor allem in der Mittelstufe, wo die Kinder verletzbar waren und sich im persönlichen Wandel befanden und eine falsche Wendung jahrelange Auswirkungen haben konnte.
Das Leben kann sich in einer Sekunde wenden.
Die Richtung, in die du gehst, wenn es so weit ist, macht den Unterschied aus.
David wusste das. Aber wenn er versuchte, etwas Gutes zu tun, kam es falsch heraus.
Und hier war wieder mal ein perfektes Beispiel dafür. Wayne Ackerman näherte sich ihm von hinten und ging ohne ein Wort an ihm vorbei. David sah ihm nach und fragte sich, ob Alexis Hilfe bekommen würde, und wenn ja, ob er nächstes Jahr noch hier wäre, um es mitzuerleben.
[home]
10
M olly nahm ihren Laptop mit ins Krankenhaus. Nicks Artikel schlug weiter hohe Wellen, und dauernd trafen E-Mails ein. Sie stellte sich vor, dass es, wenn sie sie von hier aus beantwortete, so wäre, als ob Robin mitbeteiligt wäre. Wenn es auch sonst nicht half, es würde doch helfen, ihr die Zeit zu vertreiben.
Kathryn saß neben Robins Bett. Sie hatte die Ellbogen aufs Bett gestützt und Robins Hand an ihren Hals gehoben.
»He«, grüßte Molly leise. Sie fragte nicht nach Veränderungen. Nichts war anders außer der Biegung des Nackens ihrer Mutter. Kathryn schien allmählich die Energie auszugehen. »Noch mehr Blumen?«, fragte sie, um abzulenken, und las die Karten.
»Gerät ein bisschen aus der Kontrolle«, murmelte Kathryn.
»Möchtest du, dass ich ein paar wegräume? Wir können sie auf die Kinderstation bringen lassen.«
»Bald. Im Augenblick ist es in Ordnung. Pflanzen sind meine Freunde. Sie geben mir das Gefühl, dass das alles weniger seltsam ist.«
»Das ist wahr«, stimmte Molly zu. »Ich bin gerade aus dem Gewächshaus gekommen. Dasselbe. Ein Trost.«
Kathryn stieß einen langen Atemzug aus.
Molly fand, dass sie blasser aussah, und hatte plötzlich die Vision, dass
Kathryn
einen Herzinfarkt bekäme. »Bist du okay?«
»Nein. Innerlich sterbe ich. Da ist dieses Gefühl der Ungerechtigkeit. Als wäre ich die Mutter von jemandem, der zum Tode verurteilt ist, nur dass ich nicht weiß, was Robin Schlimmes getan haben soll.«
»Nichts Schlimmes, Mom. Sie hat alle inspiriert. Die Hälfte der Leute im Wartezimmer ist hier, um ihre Unterstützung zu bezeugen. Sie lieben sie einfach. Sie würden dir das auch selbst sagen«, drängte sie sanft, doch Kathryn schüttelte nur kurz und entschieden den Kopf. »Was ist mit E-Mails?«, versuchte Molly
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