Im Schatten meiner Schwester. Roman
Freund?«
»Genauer – wenn er dich so mag, warum seid ihr dann kein Paar?«
»Weil deine Generation nur so denkt, nicht meine. Wir haben Freunde beiderlei Geschlechts.«
»Vielleicht. Aber er nutzt dich aus, um Robin nahe zu bleiben.«
»Sie haben sich getrennt, Mom.«
»Deine Schwester hat sich von ihm getrennt«, präzisierte Kathryn ruhig. »Wenn es nach ihm gegangen wäre, wären sie noch zusammen. So wie er von ihr angezogen wurde, das grenzte schon an Besessenheit. Robin fand es erdrückend.«
»Sie hat sich von ihm wegen Andreas Welker getrennt.«
»Das war der Auslöser. Doch das andere war ein echtes Problem, und deine Freundschaft mit ihm hilft da nicht. Er braucht einen klaren Schnitt. Er kommt über Robin nicht hinweg, solange er noch mit dir herumhängt.«
Molly fühlte sich gerade streitlustig genug, das Thema zu wechseln, und zog den Brief über Robins Herz aus der Tasche. Kathryn runzelte die Stirn, als sie den Umschlag sah, wandte den Blick ab und nahm den Brief heraus. Etwas in ihrem Gesicht veränderte sich, als sie ihn las. Sie las ihn ein zweites Mal langsamer und sogar noch langsamer ein drittes Mal. Dann legte sie ihn hin und sah Molly mit einer Bestürzung an, die diese beschämte.
»Ich habe ihn in ihren Akten gefunden«, erklärte sie demütig. »Er steckte zwischen ihren Rechnungen.«
»Warum bist du ihre Rechnungen durchgegangen?«
»Ich soll doch alles für unseren Umzug nächste Woche zusammenpacken, und da sind noch all diese dicken Aktenordner, aus denen die Papiere herausquellen.« Sie versuchte wieder, das Thema zu wechseln. »Wie kann ich am Montag umziehen? Ich kann einfach nicht ans Packen denken.«
Kathryn ließ nicht erkennen, dass sie das gehört hatte. Sie betrachtete den Brief. »War der hier an einer besonderen Stelle?«
»Nein, er steckte einfach bei den Rechnungen. Ich habe Terrance Field noch mal angerufen. Er hat über andere Leute von Robin gehört und weiß deshalb, dass ich es nicht erfinde. Aber er sagt trotzdem, dass er seinen Bauunternehmer am Dienstag drinnen haben muss.«
»Die Leute in
Florida
reden?«
»Tatsächlich«, ruderte Molly zurück, »hat er nur gesagt, er habe es gehört. Er hätte es auch online lesen können. Oder er hätte im Krankenhaus anrufen können, um meine Geschichte zu überprüfen.«
Kathryn starrte eine Minute vor sich hin, dann konzentrierte sie sich wieder auf den Brief. »War noch was anderes dabei – Arztberichte oder so?«
»Nein«, antwortete Molly und fragte, weil ihre Mutter weiter bei dem Brief blieb: »Hat Dad denn ein Problem mit dem Herzen?« Sie brachte Kathryn in Verlegenheit – wen nannte sie einen Lügner, Charlie oder Robin? Doch Kathryn war diejenige, die nicht loslassen würde.
Molly erwartete, dass sie es leugnete. Aber sie sagte nur: »Dad achtet gut auf sich.«
»Was heißt, dass er ein vergrößertes Herz, es aber unter Kontrolle hat?« Molly bekam es plötzlich mit der Angst zu tun. Sie wollte nicht, dass auch ihrem Vater noch etwas passierte. »Er hat es gestern geleugnet. Warum die Geheimniskrämerei?«
Einer der Apparate begann zu klingeln.
Mollys Herz machte einen Satz, doch Kathryn blieb ruhig. »Das ist der Ventilator. Das passiert oft. Sie kommen gleich rein.«
Sie hatte kaum ausgesprochen, als auch schon die Schwester eintrat. Sie richtete den Apparat wieder her, sah nach Robin, sprach eine Minute mit Kathryn – keine Veränderung, alles sieht gut aus, sie hält durch –, und dann ging sie wieder.
Molly wurde so ruhig wie Kathryn. Das Warten war eine Qual. Ein paar Minuten saß sie dort, dann im Wartezimmer. Sie nahm den Aufzug ins Erdgeschoss und wanderte durch den Geschenkeladen. Anschließend kehrte sie ins Zimmer zurück und setzte sich zu Charlie, während Kathryn auf die Toilette ging, doch sie fragte ihn nicht nach seinem Herzen. Es schien nicht wichtig zu sein.
Es wurde drei Uhr, dann vier und dann fünf. Chris kam von der Arbeit, redete aber nicht über Snow Hill, und weder Charlie noch Kathryn fragten nach. Ihre Gedanken waren bei Robin.
Bei Molly war es ebenso, weshalb sie ihren Laptop wieder öffnete und sich diesmal in Robins E-Mail-Account einloggte. Heute gab es weniger Nachrichten als gestern; den Freunden wurde klar, dass Robin nicht antworten konnte. Da die Liste der Nachrichten jedoch kürzer war, konnte sie sie auch leichter durchschauen. Nicks Name sprang ihr in die Augen.
»He, Babe«, schrieb er. »Ich höre da Dinge, die mir nicht gefallen. Wo ist
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