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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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wie das Antlitz eines bösen Königs wirkend. Den dunklen Augen entströmte ein rotes Glühen, das mich einhüllte, mich zu verbrennen drohte. Ich trachtete danach, dem Feuer zu entkommen, wälzte mich von links nach rechts und zurück – und fiel mit dem linken Ellbogen hart auf den Boden meiner Zelle.
    Mit dem Schlafen war es vorbei, das qualvol e Stechen in meinem linken Arm hätte einen Toten erweckt. Meinen Traum verfluchend, wol -
    te ich mich mit dem rechten Arm am Bettkasten hochziehen. Halb erhoben, verharrte ich, als mein Blick auf das Gesicht fiel, das nicht mit den Schatten der Traumwelt verblasst war. Meine Zel e war ein Ort der Schemen, denn der beginnende Tag lag noch im Zwielicht, und es drang kaum Hel igkeit durch die Fenster. Der Schwarzgewandete, der auf mich herabstarrte, trug in der Hand eine Bronzelaterne, deren roter Schein mich aus dem Schlaf gerissen hatte. Das Glühen umgab die schwarze Kutte meines Besuchers, daß er aussah wie ein übernatürliches Wesen.
    »Ich wollte Euch nicht erschrecken, Armand«, sagte Dom Frollo.
    »Habt Ihr Euch verletzt?«

    »Es geht schon.« Ächzend zog ich mich an einem Bettpfosten hoch und muß dabei, zumal in meinem zerzausten Zustand, eine lächerliche Figur abgegeben haben. »Euer Besuch ist ebenso früh wie überraschend, Domine.«
    Immer noch machte Frollo ein sehr ernstes Gesicht, und sein Blick schien mich ausforschen zu wollen. »Gibt es einen Grund, daß die Polizei Euch sucht? Vor der Kathedrale stehen zwei Sergeanten vom Châ-
    telet, die den dringenden Wunsch verspüren, Euch mitzunehmen.«
    »Mich?« Ich schluckte und dachte an die Ereignisse des vergangenen Abends. Suchte man den Mann, der in das Desaster auf der Müllerbrücke verwickelt war? Oder gar den Verbündeten der Ketzer? Grün-de genug, die Häscher nach mir auszusenden. Ich gab mich ahnungs-los und fragte schlicht: »Was wollen die Sergeanten?«
    »Sie sagten mir nur, dieser Kriminalleutnant wünsche Euch umgehend im Châtelet zu sehen.«
    »Falcone?«
    Dom Frollo nickte. »Was immer man Euch zur Last legt, Monsieur Armand, in den Mauern von Notre-Dame seid Ihr sicher. Hier herrscht das heilige Asylrecht, das selbst der König zu achten hat. Wenn Ihr wollt, sage ich den Sergeanten, daß Ihr Euch auf das Schutzrecht der Freistatt beruft.«
    Was das bedeutete, war mir augenblicklich klar. Ich würde noch mehr als zuvor ein Gefangener Notre-Dames und Claude Frollos sein.
    Deshalb sagte ich: »Nein, ich werde zu ihnen gehen. Ich bin mir keiner Schuld bewußt.«
    »Wie Ihr meint«, erwiderte Frollo und führte mich, nachdem ich mein Äußeres etwas in Ordnung gebracht hatte, hinunter zum Portal des Jüngsten Gerichts.
    Einen passenderen Ort, mich den Sergeanten zu übergeben, hätte man schwerlich finden können. Angesichts der beiden wuchtigen Gestalten in ihren schweren Lederwämsern, bewaffnet mit Dolchen und Schwertern, zweifelte ich, ob ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Hätte ich nicht wenigstens meinen Dolch einstecken sollen, um mir die Freiheit nötigenfalls zu erkämpfen? Aber das hätte Dom Frollos Neugier erregt, und hätten die Sergeanten mich durchsucht und die verbotene Waffe entdeckt, wäre meine Lage noch misslicher gewesen.
    Auf meine Frage, was Leutnant Falcone von mir wünsche, schnarrte einer der Männer: »Das sagt er Euch selbst. Jetzt kommt mit zum Châtelet!«
    Sie nahmen mich in die Mitte, und wir traten auf den friedlich im hellroten Morgenlicht liegenden Vorplatz hinaus. Frollo blieb unter dem Bogen des Portals stehen und blickte uns nach. Seine Miene war verschlossen, der Ausdruck nicht zu deuten.
    Ich fragte mich, ob er Triumph verspürte. Vielleicht war sein Asylan-gebot eine Finte gewesen, hatte er mit meiner ablehnenden Antwort gerechnet und mich ganz bewußt in die Arme der Polizei gedrängt.
    Der Himmel über Paris hatte sich beruhigt. Es regnete nicht länger, und der Sturmwind hatte sich in ein harmloses Lüftchen verwandelt.
    Die Wolkendecke, die am Vortag schwer über Dächern und Türmen gehangen hatte, zerfaserte zusehends. Die Strahlen der aufgehenden Sonne schnitten große Lücken in das graue Geflecht und beleuchteten die bunten Stoffballen und Kleiderstapel, die von emsigen Tuchhändlern in der Rue de la Draperie auf die Verkaufstische gepackt wurden.
    Nahmen die Sergeanten absichtlich den Weg über die Müllerbrücke?
    Das Haus des unglückseligen Pfandleihers war nur noch ein Haufen verkohlter Schutt, und auch den hölzernen

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