Im Schatten von Notre Dame
Läden abgeschottet.
Im grauen Licht des zur Neige gehenden Nebeltages sah ich die Druckerpresse, den großen Herd mit dem Kessel, kleinere Öfen mit Schmelztiegeln, Tische mit Druckformen und schräg aufragenden Setzkästen, in denen die bleiernen Lettern ruhten. Dazwischen erblickte ich Wandborde und Kisten voller Druckschriften. Der angenehme Papierduft vermischte sich mit dem ekelerregenden Ölgestank, der jeder Druckerei und sogar jedem Druckwerk entströmt.
»Ihr seht so angewidert aus, Armand. Ist es die Vorstellung, daß Ihr hier fast Euer Leben verloren hättet?«
»Es ist die Vorstellung, daß die Männer meiner Zunft wegen solch stinkender, schmieriger Höhlen ihren Broterwerb verlieren.«
»Tröstet Euch, wenn Ihr erst im Grab liegt oder als Leiche aus der Seine gefischt werdet, braucht Ihr kein Brot mehr.«
»Seid Ihr ein Hel seher, Leutnant, daß Ihr von meinem Tod sprecht?«
Er stieß ein trockenes Lachen aus. »Man muß kein Hellseher sein, um Euch ein baldiges Ende vorauszusagen. Ihr steckt einfach zu tief drin.«
»Wo drin?«
Falcone beugte sich vor und schob sein Gesicht dicht an meins. »Sagt Ihr es mir, verdammt!«
Weiß gegen Schwarz? Wenn ja, wo stand Falcone? Für mich war er eine Gestalt aus dem Nebel da draußen, grau, undurchschaubar. Deshalb sagte ich ihm nur, daß ich ihm nichts zu sagen hätte.
Ärgerlich wandte er sich ab, ging zur Druckerpresse und legte einen Apfel auf die hölzerne Platte. Dann zog er kräftig am Bleihebel, bis die Spindel den Tiegel auf den Apfel preßte. Die Frucht zerplatzte unter dem Druck. »Das wäre mit Eurem Arm passiert und vielleicht auch mit Eurem Kopf!« Falcone sah mich durchdringend an. »Meint Ihr nicht, in meiner Schuld zu stehen?«
Schabende Geräusche auf dem Hof enthoben mich der Antwort. Unheimliche Gestalten entstiegen dem Nebel und drängten sich mit ungelenken, tastenden Bewegungen in die Werkstatt. Sie trugen die Lumpen von Bettlern. Daß sie nicht zum Betteln kamen, belegten die Waffen in ihren Händen: Dolche, Beile und Knüppel.
Noch etwas außer den unsicheren, suchenden Bewegungen verlieh den Männern einen grotesken Anstrich: ihre Augen. Sie waren reglos, tot. Bei einigen sah man nur das Weiße, bei anderen die leeren Höhlen. Sie erinnerten mich an Maulwürfe mit ihren hinter dem Fell versteckten Augen.
»Die Maulwürfe!« entfuhr es in diesem Augenblick Falcone, und ich entsann mich der geheimnisvollen Bande, von der er mir erzählt, und an das, was er über ihr Geschäft gesagt hatte: Mord, das lautlose Töten in finsterster Nacht. Sie bewegen sich in völliger Dunkelheit mit der Sicherheit von Maulwürfen, die sich in der Erde vorangraben.
Ob Nacht oder Nebel, blieb sich gleich. Die Männer, acht oder zehn mochten es sein, benötigten kein Licht, denn sie waren es gewöhnt, sich in einer finsteren Welt zu bewegen, der Welt der Blinden.
Wie bei wirklichen Maulwürfen schienen ihr Gehör, ihr Geruch und ihr Tastsinn besonders gut entwickelt, gleichsam als Ersatz für das verlorene Augenlicht. Sofort nach Falcones Ausruf wandten sie sich ihm zu und kreisten die Druckerpresse ein. Lediglich der Umstand, daß sie die Werkstatt nicht kannten und von Tischen, Schemeln und Geräten behindert wurden, hielt sie davon ab, augenblicklich über den Leutnant herzufallen.
Falcone nahm einen Apfel aus seinem Tuch und warf ihn durch den Raum, so daß er mit lautem Klirren eine Fensterscheibe durchschlug.
Wie auf ein Kommando fuhren die Blinden herum und näherten sich in ihrer tastenden Weise dem zerbrochenen Fenster in der Vermutung, daß wir es als Fluchtweg benutzen wollten.
In Wahrheit hatte Falcone es auf die Tür abgesehen. Er wollte die Maulwürfe von ihr weglocken, um uns den Rückzug zu ermöglichen.
Er stand, wie auch ich, vollkommen still. Nur seine Augen bewegten sich, huschten ständig zwischen den Mördern und der Tür hin und her, um den rechten Zeitpunkt zu erkennen. Dann, als die Schritte der vordersten Maulwürfe in den Splittern der Scheibe knirschten, gab er mir ein Zeichen: jetzt!
Ich Tölpel aber stolperte über einen Tonkrug, in dem die Druckerbal-len zum Einfärben der Lettern aufbewahrt wurden. Aus dem Gleichgewicht gebracht, stürzte ich gegen ein Holzgestell mit zwei Setzkästen und warf es mit lautem Poltern um. Hätte Falcone sich nicht mit mir aufgehalten, wäre ihm die Flucht geglückt. Aber er sprang zu mir und zog mich hoch.
Zeit genug für die Maulwürfe, uns einzukreisen. Schon bewegten sie sich
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