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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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Geräusch, ein dumpfes Schaben, hielt mich zurück.
    Der Holzpfeiler, der, von Zauberkraft getragen, auf die Galerie zu schweben schien, lag in Wahrheit in den starken Händen Quasimodos.
    Er war auf den Ansturm aufmerksam geworden und hatte den Balken von der Baustelle auf dem Südturm geholt, um ihn als Waffe einzuset-zen. Unter lautem Keuchen schob er das gewaltige Holzstück über die Galerie und wuchtete es über die Brüstung.
    Das Riesengeschoß fiel an der Fassade entlang, schrammte sie, riß ein paar Glieder der Steinfiguren ab und drehte sich unentwegt um sich selbst, den Flügeln einer Windmühle gleich. Es stürzte geradewegs auf die Treppe und schlug einem runden Dutzend Gauner Schädel und Knochen ein. Dann polterte es mit dem Lärm einer Feldschlangensal-ve die Stufen hinab zwischen die unter Schreckensschreien auseinan-derspritzenden Menschen. Einige stolperten über ihre Kameraden und waren zu langsam. Der Balken holte sie ein und brach ihnen die Beine, wie ein Herbststurm dürres Geäst abknickt.
    Wimmernd blieben die Verletzten auf dem sich leerenden Domplatz liegen. Auch die Zänker ergriffen die Flucht vor dem unsichtbaren Gegner. Clopin zog sich mit seiner Armee hinter die Grenzmauer zurück, von wo die völlig Verwirrten ratlos zur Kathedrale und in den Himmel starrten, aus dem das Verhängnis auf ihre Mitstreiter herab-gefallen war. Die Turmgalerie lag im Dunkel, jenseits der Kraft ihrer Fackeln, und der schreckliche Quasimodo blieb ihnen verborgen.
    Clopin tat, was ein Feldherr tut, wenn der Sieg mehr zählt als alles andere. Er schickte seine Soldaten erneut an die Front und schrie einen ersehnten Befehl: »Plündern!«
    Die Armee aber verharrte still. Der Kampfgeist ihres Anführers wollte nicht auf sie übergehen, solange es keine Wahl gab außer der, sich vor den Portalen zusammenzudrängen und auf herabstürzende Balken zu warten. Die Zänker scharten sich um Clopin und erklärten ihm wohl, daß man sich an den starken Portalen wenn nicht die Zäh-ne ausbeißen, dann doch die Zangen ausreißen würde.
    Clopin wußte Rat und rief: »Ein Rammbock muß her, und der Himmel selbst hat ihn uns gesandt. Gott ist mit uns, er hat uns den Schlüssel zur Kathedrale in die Hand gegeben!« In gespielter Ehrfurcht verneigte er sich, und im Schein einer Fackel sah ich das wölfische Grinsen auf seinem Gesicht. Er hatte gewonnen, den Bann gebrochen.
    Mehrere Männer scharten sich um den Balken, hoben ihn auf und verwandelten ihn in einen mächtigen Tausendfüßler, der über den Platz stürmte, die Stufen erklomm und mit schwerem Dröhnen gegen das Hauptportal stieß. Wenn ich sage, daß die Mauern des Westwerks unter dem Anprall erzitterten, ist das keine Übertreibung. Wieder und wieder rammten die Gauner unter Hurra-Schreien das Tor.
    Mochte der Bischof sich in seinem Palast verschanzen, mochten die Bürger sich in ihren Stuben schlafend stellen, die Kathedrale hatte einen Verteidiger, der eine ganze Kompanie aufwog: Quasimodo. Auch wenn ihm das warme Fleisch der Zigeunerin vielleicht mehr am Herzen lag als der kalte Stein des Gotteshauses, die Wirkung blieb sich gleich. Daß der Gaunerkönig die Befreiung der Esmeralda proklamiert hatte, war dem Tauben entgangen. Er sah die Meute da unten gegen Notre-Dame anstürmen und nahm das als einen Angriff auf seinen Schützling. Für den einfachen Verstand des Glöckners waren die Gauner Asylbrecher, also bekämpfte er sie mit allen Mitteln.
    Während das Tor unter den Rammstößen erbebte, sprang Quasimodo wie ein Dämon zwischen Südturm und Galerie hin und her, um an der Brüstung aufzuhäufen, was nicht niet- und nagelfest war. Steinquader zur Ausbesserung des Gemäuers, aber auch Werkzeug, sogar eine Schubkarre. Als er genügend Geschosse aufgehäuft hatte, eröffnete er seine Kanonade und setzte sie mit der unerbittlichen Gleichmäßigkeit eines Uhrwerks fort. Wie ein schwingendes Pendel nahm er ein Geschoß auf, beugte sich über die Brüstung, ließ es fallen, bewegte sich zurück und packte einen weiteren Stein oder was er sonst her-beigeschleppt hatte. So schnell, daß immer zwei Geschosse gleichzeitig in der Luft waren und die Gauner, in deren dichtgedrängte Reihen große Lücken gerissen wurden, eine Vielzahl von Verteidigern irgendwo über sich wähnten.
    Als einige zu mutmaßen begannen, die Kathedrale selbst wehre sich gegen die Angreifer und schüttle ihre Steine auf sie herab, fuhr Clopin Trouillefou mit mahnenden Worten dazwischen. Gott

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