Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
Vom Netzwerk:
sei erbost über die bevorstehende Aufhebung des Asylrechts und daher auf ihrer Seite.
    Der tödliche Hagel komme von den Pfaffen, die man aufspießen und rösten werde, sobald das Tor aufgebrochen sei. Und als ein paar Gauner erneut zurückweichen wollten, zog Clopins weiße Peitsche blutige Striemen über ihre Gesichter.
    Die Überzahl der Belagerer hatte sich von dem Schrecken des Rie-senbalkens erholt und setzte den Ansturm trotz Quasimodos Beschuss fort. Ein ums andere Mal krachte der Rammbock gegen das Tor, das ächzte und zitterte wie ein Mensch im Todeskampf. Clopin ließ seine Peitsche knallen und gab so den Takt für die Rammstöße an. Mathias hielt sich mit seinen Zigeunern im Hintergrund. Sie lagerten in den Hauseingängen jenseits der Grenzmauer und bereiteten sich darauf vor, Sita zu Hilfe zu eilen, sobald die Gauner die Kathedrale stürmten.
    Das schwere Ächzen des Portals schien einen baldigen Erfolg der Rammstöße anzukündigen. Quasimodo ließ sich nicht entmutigen und sprang erneut zwischen Südturm und Galerie hin und her. Wie ein Besessener schichtete er ein Reisigbündel auf, darüber Bretter und kleine Balken und darauf schließlich die Bleirollen, die tagsüber von den Arbeitern heraufgeschafft worden waren. Gespannt und verwirrt zugleich verfolgte ich sein Treiben, in dem ich keinen Sinn erblicken konnte. Hatte die Raserei ihn vollends um den Verstand gebracht?
    Er kehrte mit einer Laterne aus dem Turm zurück und schleuderte sie mit einem kriegerischen Grunzen gegen den Holzstapel. Das Glas zerplatzte mit hellem Klirren, und das brennende Öl ergoss sich aus dem Bronzebehälter über das Holz. Sogleich bissen die Flammen zu, fraßen sich mit gieriger Hast weiter und hatten bald den ganzen öldurchtränkten Stapel erfasst. Sie loderten hoch und schlugen weit über die Brüstung, als wollten sie ganz Notre-Dame verschlingen. Der wild flackernde Feuerschein ließ Quasimodos gräßliches Antlitz noch schrecklicher erscheinen, mal von roter Höllenglut erfüllt, dann wieder im finsteren Schatten auf Beute lauernd.
    Das Blei krümmte sich, warf Blasen, zerfloss unter der unbändigen Hitze, ergoss sich wie der heiße Auswurf Satans über die Dachplatte der Galerie und wollte nach meinen Füßen lecken. Hastig sprang ich zurück, auf einen großen Steinquader, den die Bauarbeiter hier deponiert hatten.
    Das Blei breitete sich nicht weiter aus. Es floß durch zwei Regenrin-nen ab, die unter der Brüstung saßen und in spitzohrigen Dämonenfratzen über dem Hauptportal endeten. Jetzt erst erfasste ich die ganze Abgefeimtheit von Quasimodos Plan. Der Glöckner hatte keineswegs den Kopf verloren, sondern zu einem Gegenschlag ausgeholt, wie ihn nur ein grausamer Geist ersinnen kann. Er hatte von anderen Menschen gelernt, grausam zu sein, und er tat es für die Esmeralda.
    Ich hatte Sita keineswegs vergessen, war aber ein Gefangener des flüssigen Bleis, das blubbernd um meinen Steinquader kroch, und mußte, ob ich wollte oder nicht, die unmenschliche Bestrafung der Gauner mit ansehen: Die beiden Wasserspeier spuckten unaufhörlich kochendes Blei auf die Köpfe der dichtgedrängten Gauner. Zwei dicke glü-
    hende Strahlen, die sich auf halber Höhe zu einer Todeskaskade vereinigten, verbrannten das Leben der Unglücklichen, fraßen sich durch Kleider, Haut und Knochen. Wer Glück im Unglück hatte, dem wurde das Leben sofort ausgebrannt. Die anderen, am ganzen Leib verbrüht, schrien lauter und entsetzter, als ich je einen Menschen hatte schreien hören.
    Die noch laufen konnten, flohen, in weitaus wilderer Panik als zuvor beim Niederkrachen des Holzbalkens, den die Zänker längst hatten fallen lassen. Faustgroße Bleitropfen schlugen wie feuriger Hagel in die Menge und streckten immer neue Männer, Frauen und Kinder nieder, die sich schon in Sicherheit wähnten. Andere wurden von ihren zu Tode erschrockenen Kameraden zu Boden gestoßen und von der sich über Stufen und Vorplatz ergießenden Bleiflut eingeholt, bevor sie wieder auf die Füße kamen. Unter qualvollen Schreien verendeten sie in der zähflüssigen Masse, die nichts freigab, was sie einmal erfasst hatte.
    Die Gauner mußten glauben, Notre-Dame habe sich in ein wütendes Ungetüm verwandelt, ein riesenhaftes Untier, ein Höllengeschöpf, das Feuer und Rauch spie. Der Wind riß Brandfetzen aus der von Quasimodo entfachten Glut und wehte sie wie fliegende Feuergeister über die Insel. Schwarzer Rauch quoll auf und breitete sich nach allen

Weitere Kostenlose Bücher