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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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Schaukeln und ließ ihr weißes Kleid ebenso flattern wie das schwarze Haar. Schließlich erkannte ich die Wahrheit und wollte schreien, brachte aber nur ein Krächzen heraus, das, verglichen mit dem Kreischen der Krähen, kläglich anmutete.
    Die Puppe war ein Mensch.
    La Esmeralda.
    Sita!
    Leblos wie eine Puppe hing sie am Galgengerüst, der Hanfstrick hatte ihr das Genick gebrochen. Ihre weit geöffneten Augen blickten starr in die Welt, die nicht länger die ihre war. Die Krähen, die in Sita ihr Frühstück sahen, konnten sie nicht erschrecken.
    Ich selbst lehnte an dem stufenförmigen Sockel des großen Steinkreuzes, das sich als Zeichen christlicher Gnade mitten auf dem Platz erhebt. Mir schien es als der blanke Hohn, am liebsten hätte ich es an-gespuckt. Aber auch das konnte Sita nicht mehr helfen. Diese Welt, in der die Menschen Gnade in Stein meißeln, hatte ihr unwiderruflich den Rücken zugekehrt wie die Soldaten, für die das Bild der Gehenkten etwas Alltägliches war.
    Der Gedanke, daß Sitas Rettung durch Quasimodo und ihr Asyl in Notre-Dame vergebens gewesen waren, bereitete mir größere Pein als die Schmerzen, die sich in meinem Kopf und meiner Hand ausbrei-teten. Ich wollte es nicht wahrhaben, verstieg mich in die Idee, daß die Ägypterin nicht tot, sondern nur ohnmächtig war. Hatte ich selbst nicht auch wie ein Toter auf dem Platz gelegen und sogar die erfahre-nen Aasfresser, die über mir kreisten, überzeugt? Vielleicht, so redete ich mir ein, konnte ich Sitas Leben retten!
    Ich umschlang den Steinsockel wie eine Geliebte und zog mich an ihm hoch. Meine Knie waren weich wie Haferschleim. Ohne den stützenden Stein wäre ich wieder zu Boden gesunken. Trotz der Morgenkühle trat Schweiß auf meine Stirn, und halbdurchsichtige Ringe vollführten seltsame Kunststücke vor meinen Augen. Ich atmete tief und ruhig, bis die tanzenden Ringe verschwanden und ich das Gefühl hatte, daß meine Beine mir wieder gehorchten. Dann ließ ich den Kreuz-sockel los und wankte auf den Galgen zu.
    Ein Soldat drückte seine Pikenspitze gegen meine Brust. »He he, Gevatter, lass den Galgen in Ruh! Das Volk sol sehen, daß die Hexe tot ist.
    Der Generalprofos hat’s befohlen, damit es nicht neuen Aufruhr zu ihrer Befreiung gibt. Wenn ihr Lumpen jetzt schon anfangt, ihr für eure Zaubermittel die Haare und Fingernägel auszureißen, ist bald nicht mehr viel übrig. Und mit Tristan l’Hermite will ich mich nicht anlegen!«
    Ein zweiter Soldat, der sich müde auf seine Hellebarde stützte, grinste breit. »Der abgerissene Kerl sieht mir gar nicht aus wie’n Leichen-fledderer. Guck mal, Freund, wie er die Hexe anstarrt. Wie’n verliebter Gockel.«
    »Oder wie’n heißblütiger Hengst«, krähte der Pikenier. »Warum auch nicht, die Füße sind zwar von der Folter verkrüppelt und der Hals is’n bißchen verrenkt, aber alle wichtigen Teile sind heil.«
    Der Hellebardist nickte und lachte: »An der Jungfer und dem Fisch der mittlere Teil der beste ist.«
    Sein Kamerad erhöhte den Druck des spitzen Eisens. »Troll dich, Strolch! Leichen zum Abspritzen gibt’s genug auf dem Friedhof der Unschuldigen Kindlein.«
    Notgedrungen wich ich ein paar Schritte zurück und geriet in eine seltsame Prozession, die aus der Gerberstraße auf den Grève-Platz schritt. Es waren die Ägypter in ihrer prächtigen Kleidung und ihrem glitzernden Schmuck. Auf Tambourinen und Flöten spielten sie eine traurige Melodie, die nicht zu ihrem farbenfrohen Aufzug passen wollte. Ich begriff, daß sie sich so festlich gekleidet hatten, um die Tote zu ehren. An ihrer Spitze ging Mathias. Er ließ den Trauerzug anhalten, als die alarmierten Soldaten sich zusammenrotteten und ihre Waffen hoben.
    »Ihr braucht keine Angst zu haben«, sagte Mathias zu den Wachtposten. »Wir wollen nur unsere tote Tochter holen.«
    Ein rotgesichtiger Sergeant trat vor und warf sich in die Brust. »Un-möglich! Der Generalprofos des Königs hat befohlen, daß die Hexe nicht angetastet wird.«

    Mathias ging auf ihn zu und sagte in vertraulichem Ton: »Wiegt das Wort des Generalprofoses so schwer wie ein Beutel Goldkronen?«
    Der Sergeant riß die Augen auf und wurde sichtbar schwankend in seinem Entschluß. »Also … im Tageslicht läßt sich schwer was machen. Aber … vielleicht könnten in der Nacht ein paar mitleidige Stra-
    ßenkehrer das Mädchen vom Galgen nehmen.«
    Mathias nickte. »Dann holen wir unsere Schwester in der Nacht.«
    »Nein, mit euch nehmen

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