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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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günstigen Ar-beitsbedingungen beraubt. Hätte ich besser auf den Sonnenstein acht-gegeben, hätten wir das Versteck nicht verlassen müssen. Der verfluchte Leonardo hätte mir das nicht zu sagen brauchen, um meinen Eifer anzuspornen.
    Aber wo sollten wir suchen? Mein Blick flog über die endlosen Reihen aus Verkaufsbuden, Lagerschuppen, Spieltischen und Bühnen, die sich auf dem sanft ansteigenden Hang am linken Seine-Ufer erstreck-ten und zwischen denen sich Händler, Gaukler, Musikanten, Komö-
    dianten, Artisten, Bettler, sowie, zumeist in völlig schamloser Weise, Knaben, Dirnen und ihre Freier tummelten. Hier wurde einfach alles verkauft, bis hin zum warmen Fleisch der Metzen beiderlei Geschlechts. Ausgenommen waren nur Waffen und Bücher, erstere zur Sicherheit der Marktbesucher und aller Pariser Bürger, letztere, weil ein Feilbieten gelehrter Werke angeblich die Ehre der nahen Sorbonne verletzt hätte. Dabei trieben es gerade die Scholaren am hemmungslo-sesten, viele mit Tier- und Dämonenmasken angetan, andere mit dem eigenen verzückten Gesicht. Oft war das Gedränge von Menschen und Tieren zwischen den Buden so dicht, daß kaum ein Durchkommen war.
    Und nur drei Zitterstangen! Falls die Dinger, was ich stark bezweifelte, überhaupt auf die Machina Mundi oder auf das brennende Erz, von dem Leonardo berichtet hatte, ansprachen. Die zweite Stange befand sich bei einer Katharergruppe, die den geheimen Eingang zur Zuflucht der Dragowiten näher am Seine-Ufer suchte, die dritte bei Mathias und seinen Zigeunern. Die übrigen Katharer und Ägypter suchten auf gut Glück den Markt ab, hielten Augen und Ohren offen und sollten alles melden, was ihnen verdächtig erschien. Aber was sollte einem bei solch buntem, ausgelassenem Treiben verdächtig erscheinen?
    Am Nachmittag, als wir die Buden der Töpfer hinter uns ließen, begegneten wir dem tanzenden Bären. Der riesige Zoltan vollführte zu einer von Rudko geblasenen Flötenmelodie mehr oder minder ge-schmeidige Verrenkungen, sehr zum Gefallen des Publikums. Milosch und Yaron sammelten die Gaben der Umstehenden ein und brachten sie Mathias, der auf einem Baumstumpf hockte und die Münzen in einen Holzkasten fallen ließ. Nur ein Teil des Kastens war für die Münzen bestimmt, im anderen befand sich die Zitterstange, allerdings ohne im mindestens zu zittern. Gleich der Villons.
    »Es ist zwecklos«, seufzte der Herzog. »Diese Stangen erbeben allenfalls, wenn man sie vor Verzweiflung gegen die nächste Wand wirft.«
    »Sie schlagen aus, wenn sie die Kraft des brennenden Erzes spüren«, wiederholte Leonardo mit fester Stimme. »Wenn sie es bis jetzt nicht getan haben, sind wir noch nicht in die Nähe der Weltmaschine gelangt.«
    »Vielleicht, vielleicht auch nicht«, brummte ich zweifelnd. »Die Sache mit dem brennenden Erz hab ich ohnehin nicht begriffen.«
    »Jetzt ist nicht die Zeit, es Euch zu erklären«, fauchte Leonardo. »Ihr könnt mir vertrauen. Ich hatte genug von dem Erz zur Verfügung, um die Zitterstangen zu erproben.«
    »Was ist das für ein Erz?« fragte ich, noch immer nicht überzeugt.
    »Woher kommt es? Was bewirkt es?«
    Villon gab mir die Antwort: »Die Templer förderten es unter ihrem dragowitischen Großmeister Bertrand de Blanchefort in der Nähe eines kleinen Bergdorfs in Occitanien, Rennes-le-Château. Nach Lullus braucht man dieses Erz, um den großen Weltenbrand zu entfachen.
    Von dem Erz geht eine unsichtbare Kraft aus, gefährlich und zerstörerisch. Wer zu lange mit ihm in Berührung ist, stirbt einen langsamen, qualvollen Tod. Deshalb ließ Bertrand de Blanchefort Bergleute und Erzgießer aus Deutschland kommen. Sie konnten sich mit den Einhei-mischen nicht verständigen und das Geheimnis nicht weitererzählen.
    Und wenn sie starben, fragte niemand nach ihnen.«
    Unsere Gruppen trennten sich, um die Suche fortzusetzen. So vergingen die Stunden, und wir arbeiteten uns in die Nähe der bewehrten Abtei vor. Der Abend nahte, und noch immer zitterte die Zitterstange nicht. Erschöpft setzten wir uns an einen der unter freiem Himmel stehenden Tische einer Schenke, die aus einem Holzgerüst und dar-
    über gespannten Stoffbahnen bestand. Bei Wein und Wasser, Brot und gebratenen Eiern mit Zwiebelmus sammelten wir neue Kräfte, aber nicht neuen Mut. Ich betrachtete die lärmende Menge um uns her und konnte mir einfach nicht vorstellen, daß hier lauter verlorene Seelen ihren Totentanz aufführten.
    Sehnsüchtig sah ich einer Schar tanzender

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