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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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Sphäre betreten, in der das Gelärm unserer Welt nur ein Echo war, die Menschen nur Schatten. Obwohl die Sonne am wolkenlosen Himmel stand, fröstelte ich.
    Leonardo kniete sich hin und untersuchte das Erdloch. Er ließ sich Atalantes Dolch geben, zerschnitt ein paar Farne und Dornenran-ken und legte ein zweites, tieferes Loch frei. Als wir ihm helfen wollten, stellten wir fest, daß die meisten Ranken gar nicht im Erdreich wurzelten. Man hatte sie aufgeschichtet, um eine in den Boden gehauene Treppe zu verbergen. Niemand mußte es aussprechen, jeder wuß-
    te, daß wir dem Ziel nahe waren. Villon hatte seinen Bauchkasten auf den Boden gestellt: Die Stange zitterte wie wild, wäre am liebsten aus den Halterungen gesprungen.
    »Ecco!« keuchte Atalante, als vor uns ein Loch gähnte, das etwa einen Klafter im Quadrat maß. Mit Brettern verstärkte Stufen bildeten den Anfang einer steilen Treppe, die im finsteren Erdschlund verschwand.
    »Nicht viel zu sehen«, beschwerte ich mich.
    »Vergesst nicht, daß Ihr einige meiner Erfindungen bei Euch tragt, Signore Armand.« Leonardo trat zu mir, wühlte in meinem Bauchkasten und holte unter den Waren einen Bronzewürfel hervor, der an einer Seite mit einem Loch versehen war. Vor dem Loch hing ein dickes, halbkugelförmiges Glas. Der Italiener öffnete eine Klappe des Bronzewürfels und entzündete mit einem Feuerstein den Docht einer darin verborgenen Öllampe. Dann verschloss er den Würfel wieder und hielt ihn in das Erdloch. Helles Licht fiel in einem dicken Strahl auf die Treppenstufen und zwei massive Stützbalken. »Ich nenne das einen Lichtscheinwerfer«, sagte Leonardo nicht ohne Stolz. »Die Glas-linse verstärkt den Schein der Öllampe um ein Vielfaches und bündelt ihn.«
    »Sehr schön, aber was hilft es uns?« murrte ich. »Wir sehen im Licht, was wir zuvor erahnten, aber nicht mehr. Wohin führt die Treppe?
    Führt sie überhaupt weiter?«
    »Wir steigen ein kurzes Stück nach unten«, ordnete Villon an. »Sobald wir sicher sind, den Weg zur Machina Mundi gefunden zu haben, kehren wir um und holen Verstärkung.«
    Leonardo hatte sich die Pferdekopflaute mit einem Lederriemen über den Rücken gehängt und ging mit dem Leuchtwürfel voran. Ich folgte ihm, nach mir kamen Villon, Tommaso und Atalante. Immer wieder mußten wir uns bücken, um nicht mit dem Kopf gegen die Decke aus Erdreich und Gestein zu stoßen. Schon nach wenigen Schritten blieb Leonardo stehen und richtete den gelben Lichtstrahl auf die Stufen unter seinen Füßen. »Überall frisch abgebröckeltes Erdreich. Die Treppe ist in jüngster Zeit häufig benutzt worden.«
    Nach ein paar weiteren Schritten mündete die Treppe in einen Stollen, der in leichter Abschrägung tiefer ins Erdreich führte und mit Pfeilern und Balken abgestützt war. Die Zitterstange machte ihrem Namen alle Ehre und erbebte noch heftiger als zuvor.
    »Irgendwo am Ende dieses Ganges befindet sich die Machina Mundi«, sagte Villon beinah ehrfurchtsvoll. »Rasch, kehren wir um! Man kann nie zu stark sein, um dem Bösen zu trotzen.«
    Als wir uns umdrehten, erfasste Leonardos Lichtstrahl mehrere Gestalten, die sich am unteren Ende der Treppe zusammendrängten.
    Männer in einfachen Kitteln, aber von höchst bedrohlichem Aussehen mit den Armbrüsten, die sie auf uns richteten. Ihre Gesichter waren hart, abweisend, ließen keinen Zweifel daran, daß die Armbruster nicht gekommen waren, um uns beizustehen.
    »Wir sind Narren.« Villon sprach damit aus, was ich schon lange dachte. »Wir hätten damit rechnen müssen, daß die Dragowiten den Eingang zur Weltmaschine nicht unbewacht lassen!«

    »Wie wahr Ihr sprecht«, sagte ein schlanker, hochaufgeschossener Mann in edler Kleidung, der hinter den Armbrustern erschien. »Ihr seid ein kluger Gegner, Magister Villon, und es ist mir eine Ehre, Euch gefangen zu nehmen. Dom Frollo hat sich also nicht getäuscht, als er sagte, wir müßten über kurz oder lang mit Eurem Erscheinen rechnen.«
    Ich kannte den Edelmann mit dem grauen Haar und dem schmalen Gesicht, hatte ihn schon zweimal gesehen, am Dreikönigstag in der Großen Halle des Justizpalastes und bei der Zusammenkunft der Neun. Es war Rittmeister Jehan de Harlay, der Befehlshaber der berittenen Nachtwache von Paris.
    »Lauft, flieht!« stieß Atalante, der den Feinden am nächsten stand, hervor, und sprang ihnen mit gezücktem Dolch entgegen.
    Leonardo löschte das Licht des Scheinwerfers, indem er eine Klappe vor die Öffnung

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