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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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Vergrößerung der Denkmaschine gedacht, die Leonardo und seine Gefährten nach den Plänen des Lullus gebaut hatten. Aber im Vergleich zu dem kochenden, brodelnden, stampfenden, zischenden, schmatzenden Ungetüm, das mit seinen urgewaltigen Atemzügen die Höhle unter Saint-Germain sprengen wollte, war die Denkmaschine nicht mehr als ein Kinderspielzeug.
    Ich weiß nicht, wo anfangen und wo enden, wenn ich die Weltmaschine beschreiben soll. Zwar sah ich viel im höllischen Flammenschein, aber längst nicht alles. Zu wenig, um die diabolische Konstruktion wirklich zu durchschauen. Und sollte ich nicht froh darüber sein?
    Die Anleitung zum Bau einer Weltmaschine würde ich, selbst wenn ich könnte, niemals geben, nicht unter der schlimmsten Folter – so hoffe ich. Aber ich wäre auch nicht dazu imstande, zu verwirrend erschien mir damals und erscheint mir auch jetzt, da meine Feder zö-
    gert, das Gebilde aus Stein und Holz und allen möglichen Metallen.
    Kessel und offene Wasserbecken waren durch verschlungene Rohr-systeme miteinander verbunden. Rußige Männer in dunklen Kitteln schaufelten Kohlen in Öfen, die mehrere Klafter hoch und breit waren und aus deren geöffneten Schlünden die rotglühenden Flammen leckten. Andere Männer, gekleidet in die weißen Mäntel der Tempelritter, Dämonen in Menschengestalt, riefen den dunkel gewandeten Un-terteufeln Befehle zu. Hebel, zu deren Bedienung zwei, drei Männer nötig waren, wurden umgelegt, riesige Räderwerke in Bewegung gesetzt. Ein zigfaches Rasseln, als rücke eine ganze Schar gerüsteter Ritter an, erfüllte die Höhle, während das Räderwerk eine endlose Reihe von Ketten hoch über die Köpfe der Menschen zog. In die Ketten waren in regelmäßigen Abständen kleine, nicht mehr als handgroße Würfel aus einem mal bläulich, dann wieder silberweiß schimmernden Metall eingeflochten.
    Ein schnelles Rattern mischte sich in das Geräusch. Es kam von Villons Zitterstange, die heftig vibrierte, ihre Halterungen sprengte, durch die Luft wirbelte und gegen die Felswand prallte, wo sie klirrend zu Boden fiel.
    »Das brennende Erz!« Villon starrte die rasselnden Ketten an wie eine Geisterarmee. »Die Würfel sind aus dem Erz gegossen. Das Verhängnis ist nahe!«
    »In jeder Hinsicht«, knurrte Leonardo. »Hört nur auf die Schritte hinter uns. Wir sollten machen, daß wir weiterkommen!«
    »Zu spät«, sagte ich und zeigte nach vorn, von wo uns eine ganze Reihe finster dreinblickender Gestalten entgegenkam, angeführt von Claude Frollo. Er trug den weißen Mantel mit dem Tatzenkreuz, in der Rechten hielt er das gezogene Schwert. Um seine Hüften hing ein ledernes Wehrgehänge mit hölzerner, lederummantelter Schwertschei-de. Aus dem Kirchenmann war ein Krieger geworden. Auch die anderen, teils in Templermäntel, teils in einfachere Kutten gekleidet, waren bewaffnet, die Weißmäntel mit Schwertern, die anderen mit Piken und Armbrüsten.
    Zurück konnten wir nicht. Von dort eilte Jehan de Harlay mit seiner bewaffneten Schar heran. Natürlich hätten wir versuchen können, in dem Gewirr aus Stein, Holz und Metall unterzutauchen oder auf eine nahe Felsbrücke zu steigen. Aber der Anblick von de Harlays Ge-fangenem hielt uns zurück: Atalante mit leichenblassem Gesicht und blutüberströmtem rechten Arm, in dem noch der gefiederte Bolzen steckte. Das Geschoß hatte die alte Wunde, die er sich beim Kampf mit den Ägyptern zugezogen hatte, wieder aufgerissen. Zwei Dragowiten zogen ihn mit sich, und bei jedem Schritt verzerrten sich seine Züge vor Schmerz. Wegzulaufen hätte bedeutet, ihn im Stich zu lassen. Mehr noch, der Dolch, den einer der Dragowiten gegen Atalantes Brust drückte, machte uns deutlich, was im Fall unserer Flucht mit dem Gefährten geschehen würde.
    »Lasst Atalante leben!« rief Leonardo ihnen entgegen, nachdem er einen Blick mit Villon gewechselt hatte. »Wir ergeben uns.«
    »Alles andere wäre auch eine vergebliche Anstrengung«, sagte der Mann, den halb Paris für ein Opfer Satans hielt, womit die guten Bürger wohl gar nicht so unrecht hatten. Claude Frollos Männer umstell-ten uns, und wir lieferten ihnen unsere Dolche aus. Der Archidiakon, falls man ihn noch so bezeichnen durfte, blieb vor Villon stehen und musterte ihn eingehend. In seinem Blick lag Neugier und sogar ein Anflug von Ehrfurcht. »Ihr seid es also wirklich, der Magister und Poet, der berühmte Villon!«
    »Vergesst den Bischof nicht, Abtrünniger«, erwiderte Villon. »Im

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