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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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mich endlich los, alter Narr!«
    Er wollte Villon abschütteln, doch der hing an seinem Arm wie eine Klette und versuchte, ihm den Sonnenstein zu entreißen. Der Archidiakon hob das Schwert auf Schulterhöhe und stach es meinem Vater durch die Brust. Ich glaube, ich spürte den Schmerz mit derselben Heftigkeit wie Villon. Nie werde ich vergessen, wie mein Vater langsam zu Boden rutschte und leblos liegen blieb. Es schien mir nutzlos, über den Verlust eines geliebten Menschen zu trauern, da bald alle Lebewesen dieser Welt und die Welt mit ihnen ausgelöscht sein würden, und doch fühlte ich den unendlich tiefen Schmerz.
    »Du bist also Villons Sohn«, sagte der Großmeister. Ich spürte, wie die Augen hinter den Smaragden mich musterten. »Vielleicht kein Zufall, daß Avrillot dir den Sonnenstein gab, wie? Hättest nur besser darauf aufpassen sollen. Du hast verspielt, was Amiel-Aicart einst unter großen Mühen errang.«
    Er hatte recht, und das tat weh. Nicht die Schande des Versagens schmerzte, sondern das, was daraus erwuchs. Wie versteinert stand ich da und blickte zu dem Steg, auf dem mein toter Vater lag. Am Ende hatte auch er versagt. Frollo ging mit dem Sonnenstein zu einer silbrig glänzenden Halterung am Ende des Stegs, und ich ahnte, daß dies der Teil der Machina Mundi war, der begierig auf den Smaragd wartete.
    »Nie wieder wird einer aus Amiel-Aicarts Geschlecht auch nur in die Nähe des Sonnensteins gelangen«, fuhr der Maskierte mit deutlicher Befriedigung fort.
    Irren ist menschlich, hat der große Hieronymus geschrieben. Hat er geahnt, daß auch Satan irren kann? Der Großmeister, Satans Verbündeter, hatte seine letzten Worte kaum ausgesprochen, da wurden sie schon von dem Wesen widerlegt, das sich von der anderen Seite, halb verdeckt von der Halterung für den Sonnenstein, auf den Holzsteg schwang. Es baute sich vor Frollo auf und fletschte hasserfüllt die mächtigen Hauer. Der letzte Nachfahre Amiel-Aicarts, sah man von mir ab, stellte sich Dom Frollo entgegen: Quasimodo.
    Wußte der Teufel – und wahrscheinlich nicht einmal der –, wie der Glöckner hierher kam. Hatte er die Zeit genutzt, in der Jehan de Harlay den Eingang zum Isis-Tempel unbewacht ließ? War er uns heimlich gefolgt? Während der Tage, als wir das Quartier im Tempelviertel räumten, hatte ich mehrmals das Gefühl gehabt, beobachtet zu werden.
    Frollo stand kaum zwei Schritte von der Halterung entfernt, doch um sie zu erreichen, mußte er an dem Buckligen vorbei. Und Quasimodo machte nicht den Eindruck, als würde er das dulden.
    »Du hast la Esmeralda verraten!« schrie er seinen Ziehvater an. »Du bist schuld an ihrem Tod!«
    »Das stimmt nicht, Quasimodo. Ich wollte sie retten, aber die Schergen des Königs haben sie mir entrissen.« Frollo sprach langsam und deutlich und begleitete die Worte mit jenen Handzeichen, die nur er und sein Zögling verstanden.
    »Warum bist du nicht nach Notre-Dame zurückgekehrt?«
    »Weil die Männer des Königs mich dann verhaftet hätten.«
    »Du lügst«, stellte Quasimodo fest. »Du hast mich immer belogen und benutzt.«
    Der Archidiakon starrte Quasimodo schweigend an. Ich wußte um seine magische Fähigkeit, einem anderen seinen Willen aufzuzwingen.
    In Quasimodos Zelle hatte ich es am eigenen Leib erfahren. Konnte Quasimodo, der ihm viele Jahre lang bedingungslos gehorcht hatte, dieser Kraft widerstehen?

    Der Großmeister wandte sich an die Bewaffneten: »Das verdammte Monstrum droht unsere Pläne zu durchkreuzen. Alle Armbruster sofort zu Frollo. Schießt den Buckligen von der Brücke!«
    Vier Männer eilten die Treppe hinunter und waren kaum unten angelangt, als ich ihnen nachsprang. Ich hatte zugesehen, wie mein Vater starb, und wollte nicht auch noch Zeuge sein, wie man meinen Bruder tötete. Wäre ich nicht auf einem der Armbruster gelandet, hätte ich mir einige Knochen gebrochen, so aber mußte der Dragowit, der unter mir zusammenbrach, die Schmerzen aushalten. Neben mir stöhnte ein anderer Armbruster auf, als Leonardo ihm aufs Kreuz sprang.
    »Gute Idee, Armand!« rief der Italiener und ließ die ineinander verschränkten Hände auf das Genick des Dragowiten krachen. »Tut es mir nach.«
    Der Mann unter mir wollte sich gerade aufrappeln, als ich seinen Kopf packte und mit der Stirn hart auf den Felsboden schlug. Es gab ein hässliches Knacken, ich achtete nicht weiter darauf.
    Leonardo und ich liefen den beiden anderen Armbrustern nach. Sie erreichten die Leiter vor uns und

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