Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
Vom Netzwerk:
allgemeinen Überraschung trank Quasimodo nicht. Sein Auge heftete sich mit aller Zärtlichkeit, die er zuvor für Claude Frollo aufgebracht hatte, an die Ägypterin. Vielleicht empfand der Glöckner gar noch größeres Glück als vorhin. Ich sah deutlich, wie sich eine dicke Träne löste und über die Furchen des schrecklichen Antlitzes floß.
    La Esmeralda sagte etwas, das ich nicht verstand und der Bucklige wohl erst recht nicht. Trotzdem schien er zu nicken. Und dann trank er in langen, gierigen Zügen, bis die Kürbisflasche leer war. Sein Auge war dabei beständig auf seine Wohltäterin gerichtet, wie auch ihr Blick ohne jeden Abscheu auf ihm ruhte. Das Bild war so anrührend, daß die Stimmung des Pöbels umkippte. Die Menge spendete la Esmeralda Beifall. Die Schönheit einer Frau war stärker als das Leid eines Krüppels.
    Der schwarz gekleidete Gerichtsbeamte zeigte erneut mit dem Ebenholzstab auf die Sanduhr. Das letzte rote Korn lag auf dem Haufen, das Schauspiel war beendet. Während die Männer der Scharwache den Glöckner losschlossen, zerstreute sich die Menge und verlor sich in den umliegenden Gassen. Einen anderen Delinquenten hätten die Gaffer noch auf seinem Heimweg verhöhnt, doch bei Quasimodo wagten sie das nicht. Sein fürchterliches Auftreten am gestrigen Abend, als er sich schützend vor Claude Frollo gestellt hatte, haftete allen noch gut im Gedächtnis. Wer nicht dabei gewesen war, hatte die Geschichte von anderen gehört.
    La Esmeralda entschwand meinem Blick. Wahrscheinlich wurde sie von dem Strom aus Leibern mitgerissen. Ich war einer der letzten, die auf dem Platz ausharrten, und sah dem unheimlichen Buckligen nach.
    Er wankte in seinem seltsamen Schaukelgang zum Flussufer und hielt auf die Brücke zu. Er schien nicht auf Rache zu sinnen, jedenfalls nicht im Augenblick. Wie ein verwundetes Tier wollte er sich in seine Höhle zurückziehen, um seine Wunden zu lecken. Die Höhle war mein neues Heim: Die Kathedrale von Notre-Dame.

Kapitel 7
    Stabzehn
    Das abstoßende Bild des blutig gepeitschten, dürstenden Buckligen verschwand erst, als ich im heißen Wasser versank und wohltuende Dämpfe die Badestube an der Rue de la Pelleterie durchzogen. Der spitzköpfige Bader, den sie Maître Aubert riefen, stand mit einem Eimer am Holzkohlebecken und übergoss die Glut mit Wasser, das er mit streng, aber angenehm riechenden Kräutern versetzt hatte.
    Weiße Schwaden stiegen auf wie der Nebel, der sich morgens über der Seine erhebt. Im Zuber neben meinem saß ein Spielmann und entlockte seiner Laute eine sanfte Melodie. Das Mädchen, das ihn wusch, sang dazu mit heller, reiner Stimme. Wie eine Sirene, die ihren tödlich schö-
    nen Lockruf in den Nebel schickt.
    Dom Claudes großzügiger Vorschuss hatte mich in die Lage versetzt, mich mit neuen Kleidern und anderen wichtigen Dingen zu versehen, doch wollte ich meine neue Kluft nicht überstreifen, ohne zuvor den Schmutz und Gestank des Bettlers getilgt zu haben. Und das Blut Quasimodos, mit dem Maître Torterue mich befleckt hatte. Außerdem hatte mein stoppeliges Gesicht eine Rasur und mein knurrender Magen ein gutes Mahl mehr als verdient.
    Mich bediente eine Magd namens Toinette. Ein kräftiges, junges Ding mit viel Fleisch an den richtigen Stellen. Wegen des Wassers und der heißen Dämpfe war sie nur mit einem leichten, ärmellosen Träger-hemd bekleidet. Wenn sie sich über mich beugte, um heißes Wasser nachzugießen, hingen ihre rosigen Brüste, die aus dem Stoff zu fallen drohten, wie reife Früchte vor mir.

    Wohlig ließ ich mich von ihr mit einem dicken Stück duftender Ka-millenseife ein- und anschließend mit Laubwedel und Kardenbürste abreiben. Seit jener Nacht, als Maître Frondeur mich so unsanft aus den Armen der süßen Etiennette gerissen hatte, hatte keine Frau mit mir jenes Vergnügen geteilt, auf das die frommen Brüder in den Klö-
    stern leichtfertig zu verzichten geloben. Bedauern beschlich mich, als Toinette mit dem Waschen aufhörte, um mir Haar und Bart zu scheren.
    »Welche Dienste wünscht Ihr noch, Messire?« flötete sie, während sie das Schermesser an einem feuchten Lappen abwischte. »Wenn Euch das Blut zu sehr drückt, setzt Maître Aubert Euch Schröpfköpfe auf«, bot sie mit einem Seitenblick auf den Bader an.
    »Mich drückt nur die viele Luft in meinem leeren Magen. Ein gutes Mahl mit reichlich Wein wäre das richtige. Vielleicht willst du es mit mir teilen?«
    Toinette wollte und brachte kurz darauf

Weitere Kostenlose Bücher