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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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wäre ich zu Quasimodo in die Ecke geflüchtet, als ich das unheimliche Gesicht erblickte.
    Wie bei reichen Leuten waren die Fenster aus gutem Glas und hielten Wind und Regen ab, weshalb ich es für überflüssig hielt, nachts die Lä-
    den zu schließen. Lieber ließ ich das Mondlicht herein, als daß ich von völliger Finsternis umhüllt wurde. Doch der Anblick des Gesichts jenseits der Scheiben ließ mich diese Einstellung gründlich überdenken.
    Kam der Beobachter vielleicht jede Nacht und spähte in meine Zelle wie ein Sukkubus auf der Suche nach seinem Opfer?
    Die Falten auf der hohen Stirn zuckten, als wälze der Mann schwer-wiegende Gedanken. Es war Dom Frollo. Das Funkeln der Augen stach bedrohlich durch die Nachtschwärze, und ich war froh, als er sich endlich umwandte und im schattigen Steingewirr des Glockenturms verschwand.
    »Er ist fort«, sagte ich leise. »Weshalb fürchtet Ihr ihn so, Quasimodo?«
    Der Glöckner erhob sich zitternd und sah ängstlich zu den Fenstern.
    Als er sich einstweilen sicher glaubte, erwiderte er: »Fürchtet Ihr ihn nicht?«
    Diesmal verlegte ich mich darauf, so zu tun, als habe ich die Frage nicht gehört. Warum? Vielleicht wollte ich mir nicht eingestehen, daß der Archidiakon, mein Brotherr, mir Furcht einflößte. Mag sein, ich wollte vor mir selbst nicht als Feigling erscheinen.
    Quasimodo verlangte keine Antwort. Vielleicht glaubte er, meine Worte seien – wie so viele andere – seinen tauben Ohren entgangen.
    Er trat an den Tisch und versteckte die gedruckte Schrift wieder unter seinem Rock. »Ich hätte nicht kommen, nicht gegen Frollos Gebot verstoßen dürfen. Bitte, sagt Dom Frollo nichts, Maître!«
    Und schon war er hinaus und ebenso mit der Dunkelheit verschmolzen wie zuvor der Archidiakon.
    Ich schob die Tür zu und fragte mich, welches Gebot Quasimodo gemeint hatte. Das, sich nicht mit der Heiligen Schrift zu beschäftigen?
    Oder das, mich tunlichst zu meiden, wie ich auch bei Odon den Eindruck hatte?
    Zu dieser Frage gesellte sich eine seltsame Traurigkeit. Ich vermißte Quasimodo, obgleich sein Erscheinen mich zunächst verwirrt und erschreckt hatte. War ich in den Wochen, seit ich in Frollos Dienste getreten war, derart vereinsamt, daß ich mich gar nach der Gesellschaft des Buckligen sehnte? War es eine Gefangenschaft, in der Frollo mich hielt? So wie er Quasimodo in Einsamkeit und Trostlosigkeit gefangen hielt, indem er ihm, den die Menschen ohnehin mieden, auch noch den Zuspruch der Heiligen Schrift verweigerte.
    Die Wut auf Frollo übermannte mich, und ich stürmte hinaus. Ich nahm an, daß der Archidiakon zu seiner Zelle gegangen war. Dort wollte ich ihn aufsuchen und zur Rede stellen.

    Wie damals, als ich zum ersten Mal vor der kleinen Zelle gestanden hatte, sah ich Licht durch die Türritzen fallen und vernahm undeutliche Stimmen. Ich verharrte im Schatten eines gehörnten Steindämons und überlegte, wer so spät bei Frollo sein mochte. Am Fenster meiner Zelle hatte ich außer ihm niemanden gesehen.
    Vorsichtig trat ich näher. Nur die Stimme des Archidiakons klang dumpf durch Wände und Tür der Zelle, keine andere. Er sprach mit sich selbst, offenbar in großer Erregung. Ich hörte Schreie und Flü-
    che und verstand doch kein Wort. Vor den letzten Schritten schreckte ich zurück; das Wagnis, mein Ohr gegen das Holz der Tür zu pressen, mochte ich nicht eingehen. Was, wenn Frollo mich entdeckte?
    Meine Wut war verflogen, vertrieben von der kühlen Nachtluft. Die Vernunft sagte mir, daß es höchst unklug wäre, meinen Brotherrn zu erzürnen, zumal er sich zweifellos ohnehin in aufgewühlter Gemüts-verfassung befand. Mehrmals glaubte ich, das Wort ›Dank‹ oder ›Danke‹ zu verstehen, ausgestoßen in geradezu verzweifeltem Ton. Welchen Sinn konnte das ergeben?
    Ich fühlte mich an das letzte Wort des Zölestiners erinnert und erschauerte. Nein, da konnte, da durfte kein Zusammenhang bestehen!
    Die schlechten Träume, der Mangel an Schlaf und die nächtliche Begegnung mit dem Glöckner hatten mich offenkundig verwirrt. Es war das beste, zu schlafen. Die Nacht verzerrte alles, auch die Wahrneh-mung. Morgen, bei Tageslicht, würde Claude Frollo nichts Dämonisches mehr an sich haben – jedenfalls nicht viel.
    Als ich wieder in meinem Bett lag, kamen mir Zweifel. Einer Gefahr konnte man nicht aus dem Weg gehen, indem man die Augen vor ihr verschloss. Aber drohte mir Gefahr? Zumindest rätselhaft war vieles.
    In der Sicherheit meines warmen

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