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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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Feinde haben Pläne, das macht die Sache so schwierig.«
    Sie verabschiedeten sich und ließen mich verwirrt, aber zum Glück auch unentdeckt zurück. Ihre Worte waren gewiß nicht für fremde Ohren bestimmt und wären ungesagt geblieben, hätten mich nicht die zunehmende Dunkelheit und das Holzgestell verborgen. Was sie zu bedeuten hatten, blieb mir allerdings unklar. Ich hatte auch nicht viel Zeit, darüber nachzudenken.
    Frollo wandte sich nordwärts und tauchte in den Kanonikerbezirk ein, dessen Pforten erst nach dem Läuten der Angelusglocke geschlossen wurden. Vielleicht wollte er den Weg zur Notre-Dame-Brücke ab-kürzen, oder er wollte seine Zelle im Stift aufsuchen. Der Notar hinge-gen verschwand im Gassengewirr gegenüber der Kathedrale. Mochte sein, er wollte über die Wechslerbrücke zum Châtelet gehen, vielleicht lag sein Ziel auch irgendwo auf der Seine-Insel.
    Im Lichtschein der Kirche Saint-Christophe sah ich, wie eine schmale Gestalt sich aus einem dunklen Winkel löste und an Godins Fersen heftete. Nur für einen Augenblick fiel das durch die Kirchenfen-ster buntverzerrte Licht auf das bärtige Gesicht der zerlumpten Gestalt, und doch reichte die Zeit, um den Bettler zu erkennen.
    »Colin!«
    Ich glaube, in meiner Erregung rief ich den Namen aus. Zum Glück war der Bettler zu weit entfernt, um es zu hören. Augenblicklich sprang ich auf und eilte den beiden nach. Colin allein wäre mir Grund genug gewesen, daß er jedoch den Notar verfolgte, machte mich doppelt neugierig. Ich schien einen Knoten des Netzes aufgespürt zu haben, in dem ich seit Wochen zappelte. Ein Netz aus Unsicherheit, Vermutungen und Verdächtigungen. Gelang es mir, den Knoten an diesem Abend zu lösen, hoffte ich, aus dem Netz zu entkommen.
    Meine Rol e, ich gestehe es, bereitete mir Vergnügen. Zu lange war ich mir hilflos vorgekommen wie ein verlassenes Kind, wie ein Blinder ohne Führer. Jetzt genoß ich es, der Verfolger eines Verfolgers zu sein – mit der Hoffnung, mehr über zwei dunkle Gestalten herauszufinden. Über Gil es Godin, der falsche Anklage gegen mich erhoben hatte, und über Colin, der mich bestohlen und sich dann als mein Freund ausgegeben hatte. Offenbar gehörte er nicht zu Godins Freunden. Viel eicht war er einer der Feinde, von denen Frol o und der Notar gesprochen hatten?
    Die Gassen wurden enger, verwinkelter und finsterer. Schon bald wußte ich nicht mehr, wo wir uns befanden. Ich hatte Mühe, Colin im zufälligen Lichtschein eines Fensters oder einer geöffneten Tavernentür im Auge zu behalten. Ob er noch Godin auf der Spur war, wuß-
    te ich nicht. In einer lichtlosen und ruhigen Gasse, die vornehmlich von Lagerschuppen gesäumt wurde, entwischte mir der Bettler. Ich sah und hörte nichts mehr von ihm, so starr ich auch stand und angestrengt in die Nacht lauschte, während meine Augen die Schatten sor-tierten. Die Gasse hatte mehrere Abzweigungen; unmöglich zu sagen, welche Colin genommen hatte.

    Ein lang gezogener, gellender Hilfeschrei fuhr in mein Spähen, ein Schrei, der mich frösteln ließ. Die Stimme einer Frau. Während ich noch die Richtung herauszufinden versuchte, erscholl ein weiterer schriller, angsterfüllter Ruf: »Hilfe! Räuber, Mörder! So helfe mir doch jemand!«
    Schräg rechts vor mir – ich stürmte los. Doch mehrere Männerstim-men, Schreie und Flüche, ließen mich erneut anhalten. Zwar trug ich den Dolch, den ich mir von Claude Frollos Vorschuss gekauft hatte, in der Lederscheide an der rechten Hüfte, doch war der mehr zum Aufspießen von gebratenem Fleisch geeignet als zum Kampf gegen eine ganze Räuberbande.
    Die Schreie der Frau erstarben schon, als mir der, wie ich hoffte, rettende Gedanke kam. Laut trampelte ich auf dem abgewetzten Pflaster herum und schrie aus Leibeskräften: »Zieht blank und kreist die Mordbande ein! – Sergeant Armand nach links, Sergeant Sauveur nach rechts! – Vorwärts, Scharwächter!«
    Mir gezücktem Dolch stürmte ich tatsächlich vor und nahm die nächste Abzweigung zur Rechten. Ich trat auf, so laut ich konnte, stieß kurze Kommandorufe aus und ließ meine Messerklinge an den Mauern entlangklirren, daß sie Funken schlug. Alles in der Hoffnung, daß mein Gelärm die Bande vertrieb. Falls nicht, würde sie leichtes Spiel haben mit der Ein-Mann-Scharwache aus Sablé.
    Mondlicht fiel auf einen größeren Stapelplatz, wo ein paar leere Kisten und Fässer verlassen vor sich hin gammelten. Die Luft war feucht –
    der Platz mußte nahe am

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