Im Schatten von Notre Dame
jede Gelegenheit, mich mit Dreck zu bewerfen.«
Falcones forschende Züge entspannten sich. »Ich muß jedem Hinweis nachgehen, und nicht immer haben die Leute dafür Verständnis.«
Ich fühlte mich keineswegs beruhigt, gab mich aber freundlich und bot meinem ungebetenen Gast Wein, Käse und Brot an. Als ich den Apfelmost, den Gontier mir mit dem Mittagsmahl gebracht hatte, in die Becher goß, hoffte ich, daß der Mesner die farbliche Ähnlichkeit mit einer anderen Flüssigkeit nicht zu einem üblen Schabernack benutzt hatte.
Falcone trank von dem Most. »Vermutlich wart Ihr nicht in der Nähe, als Avrillot starb – oder?«
»Es geschah beim Grand-Châtelet, nicht wahr?«
»Ja, nach Anbruch der Dämmerung.«
»Ich war auf dem Grève-Platz, bis das Feuer verlosch. Danach ging ich über die Notre-Dame-Brücke zurück auf die Insel, um mich in einer Schenke zu stärken.«
»Wo war das?«
»Das weiß ich nicht mehr. Damals war ich noch fremd hier, und der Wein machte mir den Kopf schwer.«
»Wie dieser Apfelmost.« Falcone leerte den Becher und rülpste wohlig. »Wenn ich noch mehr davon trinke, kann ich keine vernünftigen Fragen mehr stellen.«
Ich goß ihm nach. »Dann lasst uns die Rollen tauschen und mich eine Frage stellen: Ist es üblich, daß man am Châtelet eine Mordtat mit solcher Vehemenz verfolgt?«
»Es handelt sich um zwei Morde, vielleicht um drei, die miteinander in Verbindung stehen.«
»Selbst das dürfte für eine Stadt wie Paris nichts Außergewöhnliches sein.«
Falcone legte einen Silbergroschen auf den Tisch, als wolle er den Most bezahlen. »Erkennt Ihr die Münze wieder, Monsieur Sauveur?«
Als ich sie genauer betrachtete, entdeckte ich den kupferfarbenen Kratzer. »Das Falschgeld, mit dem Ihr Margot täuschen wolltet.«
»So ist es. Ein Groschen von vielen, die Paris überschwemmen. Wie in den Zeiten der Coquille scheinen Kipper und Wipper wieder gute Geschäfte zu machen.«
»Ein seltsamer Name für Falschmünzer.«
»Kipper nennt man die Galgenvögel, die gute Münzen um ihren Silbergehalt beschneiden, und Wipper die Betrüger mit der Münzwaage. Sie fälschen die Gewichte oder die Waage, um das gekipp-te Geld unters Volk zu bringen. Oder sie benutzen unbeeinträchtigte Waagen, um die guten, zum Kippen geeigneten Münzen herauszufinden.«
»Damit die Betrüger sich nicht gegenseitig betrügen?«
Falcone lächelte kalt. »Ich sehe, Ihr durchschaut die Sache. Das ist ja auch nicht schwer. Schwierig wird’s da, wo es die Übeltäter zu fassen gilt.«
Gespannt beugte ich mich vor. »Sagt bloß, das ist Euer eigentlicher Auftrag.«
»Jetzt durchschaut Ihr sogar mich.«
»Aber das würde bedeuten …«
»Nun, was?«
Ich setzte erneut an, so ungeheuerlich erschien mir meine Schlussfolgerung. »Es würde bedeuten, daß Ihr einen Zusammenhang zwischen den Morden und dem Falschgeld vermutet.«
Er nickte schwer. »Falschmünzer, Kartenzinker, Mörder. Eins führt zum anderen, und alles hängt miteinander zusammen.«
»Und wie kommt Ihr darauf?«
»Seit etwa einem Jahr verzeichnen wir einen Zugang an täuschend gut geprägten Falschmünzen. Die ersten tauchten in der Spendenkas-se des Hôtel-Dieu auf, später fanden wir weitere bei anderen geistlichen Einrichtungen, auch bei den Zölestinern. Philippot Avrillot war als ihr Almosenier für die Verteilung der Einnahmen zuständig. Die Kipper und Wipper waschen ihr Geld mit Hilfe der frommen Brüder und Schwestern.«
Ich bekundete meinen Abscheu vor diesem schändlichen Treiben und fragte: »Also hat der Bischof von Paris Euch um Hilfe gebeten?«
»Der König hat ein eigenes Interesse an der Sache. Selbst im Schatzamt sind Falschmünzen in großer Zahl aufgetaucht. Wenn König Ludwig sich nicht mehr auf den Wert seines Staatsschatzes verlassen kann, ist ganz Frankreich in Gefahr.«
»Ein Komplott gegen den König?« schnappte ich atemlos. Längst hatten Falcones Erörterungen mich vollständig in den Bann geschlagen.
»Möglich, und schon die bloße Möglichkeit ist bedrohlich«, meinte der Leutnant. »Sagt Euch der Name Marc Cenaine etwas?«
Nach kurzem Überlegen schüttelte ich den Kopf.
»Er ist Münzverwalter im Schatzamt.« Falcone räusperte sich und verzog das Gesicht zu einer säuerlichen Miene. »Sagen wir besser, Cenaine war es. Was jetzt mit ihm ist, weiß niemand am Châtelet. Die Falschmünzen waren in seiner Domäne aufgetaucht, waren in seinen Büchern als geprüft und für vollwertig befunden
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