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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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Stößen, als ziehe er seine Lust aus der Größe ihrer Schmerzen. Falls es ihr überhaupt Pein bereitete. Ich vermochte nicht zu unterscheiden, ob die anschwellenden Schreie der Frau aus Lust oder Schmerz geboren waren. Vielleicht beides zugleich.
    Der Pestilenzgestank der Fäulnis schien den dreien ein Aphrodisia-kum zu sein. Sie waren so hingebungsvoll in ihr hitziges Treiben vertieft, daß sie meiner nicht gewahr wurden. Oder aber ich war ihnen gleichgültig. Hin und wieder stießen die Frau und der auf ihr hocken-de Sodomit gegen die über ihnen schwebenden Gerippe und brachten sie zum Tanzen, begleitet von der klappernden Musik der noch an den Sehnen hängenden Knochen.
    Übelkeit stieg in mir hoch. Blindlings lief ich davon und stolperte über einen großen Knochenhaufen. Eine Staubwolke stob auf, hüllte mich ein, und auf den Lippen schmeckte ich fauligen Tod. Vor mir sah ich den halbrunden Lichtkreis des Torbogens, die Erlösung aus diesem Martyrium. Taumelnd erreichte ich die zaghaften Strahlen der immer wieder in Wolkenbänken versinkenden Sonne.
    Das bunte, laute Friedhofstreiben erschien mir angesichts der schamlosen Szene im Knochenhaus in einem ganz anderen Licht. Am Ort der ewigen Ruhe zu feiern und zu tanzen, das Gebot des heiligen Sonntags und alle Gebote des Anstands zu missachten, war das der Aus-gleich für ein Leben, wie es die Bürger von Paris führten? Ein Leben, das von steinernen Mauern beschützt, aber auch eingeengt wurde. Je sicherer das Leben, desto unfreier wurde es auch, bis es im Gebeinhaus endete, wo den Knochen, abgesehen von unzüchtigem Treiben, nichts mehr zustoßen konnte, wo sie für ewig ruhten, in Sicherheit, aber auch ohne jedes Leben. Ruhe, die zum Himmel stank.
    Mein Blick schweifte über die Ausflügler, die sich auf den Wiesen tummelten oder an den Buden der Händler süße Backwaren, Bier und Wein erstanden. Das war nicht der Ort, an dem ich den stets so ernsten Archidiakon vermutet hätte, und tatsächlich konnte ich ihn nirgends entdecken. Ich bog in einen dämmrigen, von Eiben und Ross-kastanien gesäumten Weg ein und atmete erleichtert die Luft, die mir im Vergleich zum Knochenhaus paradiesisch rein erschien. Wenn es Claude Frollo, mit oder ohne Absicht, schon gelungen war, mich wiederum abzuschütteln, wollte ich wenigstens den Tag genießen – und das für Paris geradezu üppig sprießende Grün, das mich an die Wälder von Sablé erinnerte.
    Am Ende der Allee lagen ausgedehnte Gräberfelder, auf denen kein großes Getümmel herrschte. Eine steinerne Gedenktafel nannte mir den Grund. Hier lagen, bewacht von schmucklosen Kreuzen, die Toten der großen Pest von 1466 in ihren Massengräbern. An den Schwarzen Tod ließ sich niemand gern erinnern. Vielleicht fürchtete auch so mancher, die längst verwesten Leichen könnten den giftigen Hauch dieser schrecklichen Heimsuchung noch immer verströmen. Wohl deshalb hatte man sie nicht ausgegraben und ihre Gebeine nicht in die Arka-den verfrachtet. Man ängstigte sich vor dem Miasma der toten Herzen, obschon sie längst verfault waren.
    Ich entdeckte vereinzelte Besucher der Pestgräber – und einer von ihnen war Claude Frollo!
    Seine dunkel gewandete Gestalt stand still vor einem Grab, das von einer hüfthohen Ligusterhecke gesäumt wurde. Rasch sprang ich rück-wärts und drückte mich in den Schatten einer ausladenden Eibe. Offenbar gedachte Frollo seiner Familie.
    Meine Vorsicht war unbegründet. Der Archidiakon wandte mir den Rücken zu und ging weiter, bis zu einer Gruft, über die seltsam geformte, an Dämonen gemahnende Skulpturen wachten. Er senkte das Haupt und faltete die Hände zum innigen Gebet. Seine Anteilnahme erschien mir weitaus stärker als zuvor an dem Massengrab. Hatte ich mich getäuscht, lagen seine Angehörigen unter dem steinernen Grabmal?
    Endlich bewegte er sich wieder und ging langsam um das Grab herum, den Blick unverwandt auf die Steinfiguren gerichtet. Welch seltsames Gebaren! Er mußte das Grab seiner Eltern doch mindestens so gut kennen wie seine Klause auf dem Glockenturm. Dreimal vollführte er den Rundgang, der mir wie ein fremdartiges Ritual vorkam. Schließ-
    lich stieß er einen zischenden Laut aus, einem Seufzer der Verzweiflung ähnlich, wandte sich ruckartig ab und stapfte mit derart schnellen Schritten davon, daß ich Mühe hatte, ihm zu folgen.
    Ich schlug denselben Weg ein, streifte die ledrigen Blätter des Ligusters und kam an der Gruft vorbei, deren seltsame Wächter mit

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