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Im Schatten von Notre Dame

Titel: Im Schatten von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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Rufe und Gesten sollten mich locken, gierige Klauen griffen nach meinem Unterleib. Endlich, nahe einer Arkade, entkam ich dem Gerangel und lehnte mich erschöpft an einen offenen Torbogen. Suchend glitt mein Blick über den Ort des schauerlichen Volksfestes. Hatte ich Dom Claude Frollo abermals verloren?
    Es war der Tag des Herrn und der Tag der Zusammenkunft der Neun.
    Ich hatte mein Vorhaben, den Machenschaften des Archidiakons auf die Spur zu kommen, schon aufgegeben, als ich ihn mit den anderen Kanonikern im Chor von Notre-Dame die Non beten sah. Eigentlich hatte ich den Turm verlassen wollen, um in den Straßen von Paris etwas Zerstreuung zu suchen. Doch beim Anblick Frollos erwachte das Jagdfieber erneut. Als er nach dem Gebet die Kathedrale verließ, wurde ich zum Schatten, der ihm durch die Gassen der Cité-Insel über die Notre-Dame-Brücke bis zum Friedhof der Unschuldigen Kindlein folgte. Aber hier schien ich mit meinem Latein am Ende.
    Lautes Stöhnen und Seufzen ließ mich zusammenfahren. Ich machte einen Satz von dem Torbogen weg und starrte ungläubig ins Halbdunkel des großen Knochenhauses. Hier lagen die Überreste der Verstorbenen, verfault und aus den Gräbern geholt, weil es an Platz für neue Tote mangelte, die Paris mit sicherer Beständigkeit in so großer Zahl ausspuckte, daß immer mehr Gebeinhäuser rings um den Friedhof errichtet werden mußten. Aus dem Totendämmer drang ein neuerlicher Seufzer, verbunden mit einem leisen, spitzen Schrei. Riefen die Toten nach mir, dem Lebenden, um mich in ihr düsteres Reich zu locken?
    Ich wollte schon die Beine in die Hand nehmen und diesen schauerlichen Ort fliehen, als ich im Zwielicht eine Bewegung wahrnahm.
    Langsam trat ich auf das Gebäude zu. Vielleicht ist es dein Verhängnis, Armand Sauveur, daß deine krankhafte Neugier über deine gesunde Furcht obsiegt!

    Unvorstellbarer Gestank umhüllte mich beim Betreten der Arkade.
    Die mit Abfall und Unrat übersäten Straßen von Paris stanken bestialisch, weshalb die Menschen die frische Luft unter den Bäumen und zwischen den Böschungen des Friedhofs genossen. Dieses Gebeinhaus aber roch schlimmer als die verrufenste Gasse, stank wie die unreinen Ausdünstungen des Leibhaftigen. Meine linke Hand fuhr zum Gesicht und hielt die Nase zu, während ich vorsichtig zwischen den Knochenhaufen hindurchging, tiefer hinein ins Dunkel, wo ich die schemenhafte Bewegung gesehen hatte und von wo ich jetzt ein unablässiges Stöhnen und Keuchen hörte.
    Verschlug nicht der Gestank mir den Atem, dann das, was ich an der Rückwand des Knochenhauses sah. Wäre alles Bisherige ein Alptraum gewesen, so hätte dies der Augenblick des schreckhaften Erwachens sein müssen. Doch ich fand mich nicht schweißdurchnäßt im Bett wieder, sondern stand tatsächlich vor Toten, die tanzten. Vor Gerippen, die mit den nackten Knochen schlotterten. Fast nackt, um genau zu sein. An einigen hingen noch Fleischfetzen, an denen sich ganze Armeen von Fliegen, Käfern und Würmern gütlich taten.
    Erst als ich die eisernen Wandhaken erblickte, an denen die Gerippe hingen, begriff ich allmählich. Man benötigte so schnell Grä-
    ber für neue Tote, daß die alten noch nicht ganz verwest waren, als man sie wieder aus der Erde holte. Also hängte man sie auf, damit die Fleischreste trockneten oder dem Ungeziefer anheimfielen. Aber wieso, beim heiligen Johannes Baptista, tanzten sie?
    Kaum ein Luftzug, der die Toten zum Leben hätte erwecken können, regte sich. Da, sie seufzten wieder, jaulten wie brünstige Tiere, wak-kelten und klapperten wilder als zuvor. Meine sich ans Halbdunkel gewöhnenden Augen erspähten ein seltsames Konglomerat menschlicher Gliedmaßen unter den Gerippen, nicht verwest, die Knochen sehr wohl von lebendigem Fleisch bedeckt. Arme und Beine in großer Zahl, ein gekrümmter Rücken, Köpfe. Ich unterschied drei Gestalten. Alle drei keuchten, stöhnten, schwitzten und pumpten.
    Auf dem nackten Boden lag rücklings ein Mann mit heruntergelassener Hose, Wange an Wange mit einer nicht mehr jungen Frau, deren feiste nackte Schenkel unter dem hochgeschobenen Rock hervorlugten und in dampfender Erregung die Lenden des Mannes umklammerten. Eine Brust war aus ihrem Mieder gerutscht. Ab und zu stülpte der Mann die Lippen um die große, dunkle Warze und saugte mit gierigen Schmatzlauten. Ein zweiter Mann hatte die Frau von hinten bestiegen, hockte wie ein läufiger Rüde auf ihr und sodomisierte sie mit schnellen, ruckartigen

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