Im Schatten von Notre Dame
Pfandleiher zu seinen Füßen. Im Fallen hatte er die Ölfunzel mitgerissen. Das Öl lief aus, und mit ihm leckten die Flammen durch den Laden, züngelten an den Kleidersta-peln empor und fraßen sich in das Holz der alten Truhen, weiter und weiter.
Die vier übrigen Ratten in Menschengestalt flohen vor Rauch und Flammen auf die Brücke. Den ersten konnte ich noch abschütteln, aber der Hüne packte mich und drückte mich so fest an sich, daß mir kaum Luft zum Atmen blieb. Und schon funkelten ein Dolch und eine Axt vor meinen Augen.
Die im Bogen geschwungene Axt fuhr auf mein Gesicht zu und traf – ich war wirklich erleichtert – das Brückengeländer in meinem Rücken. Ich hörte Holz bersten, und ein durchdringender Schrei gellte in meinen Ohren. Der Axtschwinger stieß ihn aus, und das war nicht verwunderlich, war ihm doch ein Dolch bis zum Heft in den Rücken gefahren. Mein Retter, ein muskulöser schwarzhaariger Mann mit südländischem Aussehen bleckte zufrieden die Zähne, zog die blutige Klinge aus dem Rücken des Gefallenen und säuberte sie an dessen Wams.
Derweil wurde auch dem dolchbewehrten Gefährten des Toten der Garaus gemacht, von einem jungen Burschen, kaum älter als ich. Der rotgelockte Jüngling führte einen italienischen Ohrendolch mit solchem Geschick, daß sein Gegner nach wenigen Augenblicken mehrere blutende Wunden aufwies, geschwächt in die Knie sank und durch einen schnellen, tiefen Stich in die Kehle endgültig gefällt wurde.
Auch der zweite Dolchkämpfer, der zu dem Narbengesicht gehör-te, hatte einen Gegner gefunden, den ich aber nur undeutlich aus den Augenwinkeln sah. Mir fiel nicht mehr auf als sein helles Lockenhaar und ein kurzes Stoßschwert, dessen sich nach unten verjüngende Klinge mehrmals rasch hintereinander die Luft zerteilte.
Ob der Schwertkämpfer siegreich war, vermochte ich nicht zu erkennen. Der Bär, der mich noch immer in seinen Klauen hielt, wich vor meinen beiden anderen Rettern zurück und brach dabei durch das beschädigte Brückengeländer. Endlich lockerte sich sein Griff, und ich konnte wieder frei atmen. Aber ich stürzte in die Tiefe. Über mir drehten sich die Häuser auf der Müllerbrücke im verrückten Tanz, unter mir noch wilder die großen Mühlräder im gurgelnden Wasser. Und ich fiel geradewegs auf eins der Räder zu …
Eine Verstrebung, ein hölzerner Querbalken über dem Mühlrad! Ich griff zu, hielt mich fest, trotz des heftigen Rucks, der meine Armmus-keln zerreißen wollte. Fast gleichzeitig ging ein ähnlicher Ruck durch meine Beine. Es war der Bär, der meine Unterschenkel umklammerte wie ein ängstliches Kind die Beine des Vaters. Das nahm ich, der nie einen Vater gehabt hatte, jedenfalls an.
Der Bär hing an mir und sah bestürzt nach unten. Direkt unter ihm drehte sich das Holzrad, von der starken Strömung schneller angetrieben als sonst. Es wirbelte das Wasser auf und griff nach dem gewichtigen Schurken, schlug gegen seine Stiefel.
»Rettet mich, Monsieur!« jammerte er zu mir herauf. »Helft mir, sonst werde ich zerquetscht!«
Da hatte er wohl recht. Doch sah ich keine Möglichkeit, ihm zu helfen. Ich war vollauf damit beschäftigt, mich an dem waagerechten Strebebalken festzuhalten. Mich allein hätte ich vielleicht hochziehen können, unmöglich aber uns beide. Zudem hatte ich keine Veranlassung, dem Kerl beizustehen, der mir eben noch sämtliche Knochen brechen wollte.
»Helft mir doch, habt ein Herz!«
Das faßte ich mir, bekam unter Zappeln und Strampeln einen Fuß frei und rammte den Stiefelabsatz mitten in das angstverzerrte feiste Gesicht. Gnädig verschluckten das rauschende Wasser und das klappernde Mühlrad das Geräusch berstender Knochen. Der Bär schrie, Blut lief aus seiner Nase. Er rutschte tiefer. Ein zweiter Tritt, und er ließ endgültig los, fiel zwischen die Schaufeln, wurde in unnatürlich verrenkter Haltung unter Wasser gezogen und verschwand in der brodelnden Tiefe.
Ich achtete nicht weiter auf ihn, nahm alle mir verbliebene Kraft zusammen und zog mich an dem Balken hoch. Endlich hockte ich auf der glitschigen Verstrebung, atmete tief durch und mußte heftig husten. Es roch nach Rauch. Kein Wunder, über mir strömten die ersten schwarzen Schwaden aus dem Haus des Pfandleihers.
»Das Seil, Mann, ergreift das Seil!«
Das schrie eine Stimme oben von der Brücke, wo drei Gestalten an dem zerbrochenen Geländer standen und zu mir herabblickten. Meine Helfer. Nach bangen Augenblicken entdeckte ich
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