Im Schatten von Notre Dame
Dragowiten, waren mit ihnen verbrüdert. Mehr noch, die Dragowiten gründeten den Templerorden, weil sie den Stein des Lichts im Morgenland vermuteten.«
»Haltet ein! Jetzt werft Ihr alles durcheinander. Die Templer waren ein christlicher Orden, der gegründet wurde, um die Pilgerzüge im Heiligen Land zu beschützen.«
»Ach«, erwiderte der Geistermönch wenig überzeugt, eher spöttisch.
»Und weshalb wurden die Templer vom Papst aufgelöst, von der Inquisition verfolgt? Warum wurde der letzte Großmeister des Ordens, Jacques de Molay, am Vorabend des Josefstags im Jahre 1314 auf der Jude-ninsel hinter Notre-Dame verbrannt?«
»Weil die Templer Satan anbeteten«, antwortete ich und wurde mir da erst bewußt, daß dies die Worte des Geistermönchs untermauer-te. Schnell, als könne ich damit etwas zurücknehmen, fügte ich hinzu:
»Man sagt aber auch, König Philipp wollte sich die Schätze der Templer aneignen, und der schwache Papst Clemens mußte sich seinem Willen beugen.«
»Natürlich kamen dem verschuldeten Philipp auch die Reichtümer der Templer zupass. Aber Ihr sagtet es gerade, Armand, sie beteten Satan an. Auch Papst und König hörten von dem Sonnenstein und wollten sich seine Macht aneignen. Daher die Hatz auf die Templer, die selbst nicht alle wußten, daß sie dem Bösen dienten. Wenn Ihr die Aufzeichnungen über die Verhöre der festgesetzten Templer lest, werdet Ihr feststellen, daß in Frankreich nur sechshundert der Armen Ritter Christi vernommen wurden, obwohl ihre Zahl in diesem Land zweitausend betrug.«
»Und ihr Großmeister, war er ein Satansjünger?«
»Ich denke, er war ein Verführter, der in gutem Glauben handelte.
Daß er sich zu den Reinen zählte, beweisen die Worte, die er nach der Urteilsverkündung sprach, welche ursprünglich auf ewige Einmaue-rung lautete: ›Ich verzichte freudig auf ein Leben, das mir nur zu sehr verhaßt ist.‹ Vielleicht fürchtete König Philipp, Jacques de Molay kön-ne, mauerte man ihn ein, noch mehr unliebsame Wahrheiten von sich geben. Der König befahl, Molay und Geoffroy von Charney, den Prä-
zeptor der Normandie, der treu zu seinem Großmeister hielt, sofort zu verbrennen.«
»Ihr schreibt die Geschichte um!« stöhnte ich auf, obwohl ich ahnte, fast wußte, daß der Geistermönch die Wahrheit sprach. War die seltsame Templerversammlung, die zu belauschen ich am Abend zuvor das Unglück hatte, nicht der beste Beweis?
»Die Chronisten, zumeist Männer der päpstlichen Kirche, schreiben die Geschichte um, sobald sie zu Feder und Tinte greifen. Ich erzäh-le Euch, was sie verschweigen. Ob Ihr es glaubt oder nicht, Armand, die Dragowiten gründeten den Templerorden, um den Sonnenstein zu finden, nicht um die Pilgerwege zu beschützen. Das geschah erst spä-
ter, als der Orden an Einfluß gewann und viele Ritter sich ihm an-schlossen, die tatsächlich das Christentum mit dem Schwert verteidigen wollten. Hugue de Payens, der erste Großmeister und ein Erzdragowit, war mit seinen Brüdern schon seit etwa 1119 im Heiligen Land, eine Ordensregel gaben sie sich aber erst an Sankt Hilarius im Jahre 1128. Was geschah in den neun Jahren dazwischen?«
Ahnungslos hob ich die Schultern an. »Ich war nicht dabei.«
»Ich auch nicht, aber ich kenne die Wahrheit. Die Templer, anfangs zahlenmäßig noch viel zu schwach, um Pilgerwege und Pilgerzüge zu beschützen, suchten den Sonnenstein – und fanden ihn. Das alles geschah ohne Ordensregel im Zwielicht einer Bruderschaft, die niemandem unterstand, die von keiner Macht kontrolliert wurde außer von der des Bösen. Der Sonnenstein war nur eins der Geheimnisse, die es im Morgenland, der Wiege Jesu, zu entdecken gab. Um weiter und in großer Zahl tätig zu sein, mußten sich die Templer eine Regel geben und den Anschein, das Kreuz des Herrn und seine Pilger zu verteidigen.«
»Der Sonnenstein befand sich also in der Gewalt des Bösen«, faßte ich zusammen und fragte in schneidendem Ton: »Weshalb ist die Welt dann noch nicht zerstört?«
Der Geistermönch beugte sich vor, und roter Feuerschein tanzte über seine Fratze, verlieh ihr erst recht das Aussehen eines Höllendämons.
»Weil die Wahrhaft Reinen ihn mit Geschick und Glück an sich bringen konnten. Natürlich hatten wir Spione in den Reihen der Templer. Diese Männer stahlen den Sonnenstein für uns, und wir versteckten ihn während des Aufruhrs der Albigenserkreuzzüge im Jahre 1232
auf dem Montségur. Doch dann belagerte die
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