Im Schattenwald
und er gingen ihm durch das Farnkraut entgegen, während sie weiter nach einer menschlichen Gestalt zwischen den Bäumen Ausschau hielten.
»Martha? Martha? Bist du hier?«
Falls sie in der Nähe war, gab sie sich offenkundig nicht zu erkennen.
Dann geschah etwas Sonderbares.
Der Rauch, der bis zu diesem Zeitpunkt dicht und schwer gewesen war, löste sich vollständig auf.
Samuel beschleunigte seine Schritte, um nachzusehen, wie das Feuer so schnell hatte erlöschen können, doch Ibsen blieb knurrend stehen.
»Was ist los, du haariges Mistvieh?«, fragte Samuel.
Als er sah, dass Samuel seine Warnung vor der potenziellen Bedrohung nicht ernst nahm, folgte ihm Ibsen in gemessenem Abstand. Er knurrte und fing an zu bellen, als Samuel sich der Stelle näherte, an der eben noch der Rauch gewesen war.
»Halt die Klappe, Ibsen, ich will doch nur …«
Samuel trat ins Leere und fiel in den Rauch. Da er sich
halb zu Ibsen herumgedreht hatte, konnte er sich gerade noch rechtzeitig am Grubenrand festhalten. Seine Finger krallten sich verzweifelt in die Erde, um irgendwo einen Halt zu finden.
Als er den Kopf hob, sah Samuel den niedrigen Zweig, der über dem Loch hing, doch er konnte ihn einfach nicht erreichen.
»Ibsen, hilf mir!«
Er schaute nach unten. Dichter schwarzer Rauch schlug ihm ins Gesicht und er zuckte zurück vor der Intensität der Hitze. Die lodernden Flammen züngelten bereits an seinen Füßen. Funken stoben auf und versengten seine Socken.
»Ibsen!«, schrie er, »hilf mir!«
Samuel konnte sich so weit nach oben ziehen, um zu sehen, dass Ibsen sich weiter vom Loch entfernte.
»Ibsen!«, rief er, während seine Hände langsam abrutschten, »komm zurück!«
Natürlich hatte er keine Ahnung, wozu Ibsen imstande war. Er war schließlich nur ein Hund. Doch wer sich am Rande eines Abgrunds festhält, während einem hochschlagende Flammen bereits die Füße grillen, der klammert sich an die geringste Hoffnung.
»Ibsen … Ibsen, komm her, du Feigling!«
Doch Ibsen war zwar erschrocken, aber kein Feigling. Er war nur ein paar Schritte zurückgegangen, um richtig Anlauf nehmen zu können. Jetzt stürmte er direkt auf die Grube zu, sprang durch den Rauch hindurch und landete auf der anderen Seite - eine bemerkenswerte Leistung, da die Grube bedeutend größer war als der Hund.
Sobald Ibsen sicher gelandet war, richtete er sich auf seinen Hinterbeinen auf und machte einen Satz in die Höhe. Im nächsten Augenblick hatte er den niedrigen Zweig zwischen seinen Zähnen und zog ihn in den Rauch hinunter.
»Hilfe! Hilfe!«
Die Erde bröckelte unter Samuels Fingern. Er war drauf und dran, den letzten Halt zu verlieren und in die höllischen Flammen zu stürzen.
Doch plötzlich spürte er, wie etwas gegen seine Schulter schlug. Er drehte den Kopf und sah, dass es der niedrige Zweig war, der eben noch einen so verzweifelten Anblick geboten hatte.
Er wusste zwar nicht, wie der Zweig dorthin gelangt war, doch war er hocherfreut, ihn zu sehen. Jetzt musste es schnell gehen. Die bröckelnde Erde unter seiner linken Hand signalisierte ihm, dass er den Zweig schnell zu fassen bekommen musste.
Das war ein schwieriges Unterfangen, insbesondere wegen des Qualms. Doch schließlich gelang es ihm. Sobald seine Hände den Zweig umklammert hatten, schnellte der zurück und beförderte Samuel auf die andere Seite der Grube. Der Zweig war gerade so lang, dass Samuel sich über den Rand hieven und wegkrabbeln konnte.
Er krümmte sich zusammen und hustete zirka fünf Minuten lang. Dann schaute er Ibsen an und begriff erst jetzt, dass er ihn gerettet haben musste.
»Danke«, sagte Samuel und vergewisserte sich, dass er immer noch das Buch unter dem Pullover trug. »Und … äh … es tut mir leid, dass ich dich ›haariges Mistvieh‹ genannt habe.«
Ibsen wedelte kurz mit dem Schwanz. Entschuldigung angenommen , schien das zu heißen.
Dann schoss Samuel ein furchtbarer Gedanke durch den Kopf. Konnte Martha womöglich in das Loch gefallen sein? War sie bei lebendigem Leibe verbrannt? Er bekam keine Antwort auf diese Frage, weil die Grube jetzt wieder vollständig verborgen war.
»Martha, wo bist du?«, murmelte er und ließ seinen Blick zwischen den Bäumen umherschweifen, auf der Suche nach irgendeinem Hinweis.
Dann sah er inmitten der Landschaft aus braunen Stämmen etwas Graues aufblitzen.
Ein Haus.
Ihm lief ein Schauer über den Rücken - doch wer auch immer dort lebte, konnte ihm womöglich helfen, seine
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