Im Schloss des spanischen Grafen
auszurichten. Alejandro habe angerufen. Er müsse länger in Sevilla bleiben und werde die Nacht in der Wohnung der Familie verbringen. Jemima war enttäuscht. Sie hatte sich darauf gefreut, ihn heute Abend wiederzusehen.
„Dann fahr nach Sevilla“, drängte Beatriz sie, „wenn du mit Alejandro zusammen sein willst. Ich kann mich doch um Alfie kümmern, ich werde ihm auch seine Gutenachtgeschichte vorlesen. Um genau zu sein … ich wollte heute Nachmittag meine Freundin Serafina besuchen, sie hat eine kleine Tochter. Wenn du nichts dagegen hast, nehme ich Alfie mit.“
Beruhigt und überzeugt, dass für Alfie gut gesorgt sein würde, ging Jemima nach oben ins Schlafzimmer, um sich für die Fahrt fertig zu machen. Die Idee, Alejandro zu überraschen, gefiel ihr ausnehmend gut.
Das Telefon klingelte, als sie sich gerade ein letztes Mal im Spiegel betrachtete. Sie streckte den Arm über das Bett und griff nach dem Hörer.
„Jem, bist du das? Die Frau hat gesagt, sie stellt mich zu dir durch.“
Kaum dass die raue männliche Stimme an ihr Ohr drang, erstarrte Jemima und wurde bleich. Sie hatte gehofft, diese Stimme nie wieder hören zu müssen, aber das Schicksal war wohl grausam genug, um sie die Vergangenheit nicht vergessen zu lassen. Zu spät fielen ihr wieder die Anrufe des Engländers ohne Namen ein, von denen Maria gesprochen hatte. „Woher wusstest du, wo du mich findest?“, presste sie hervor.
„Cousine Ellie hat ein Foto von dir in der Zeitung gesehen – meine kleine Jem im Abendkleid, mitten unter den ganzen Bonzen, so als würde sie dazugehören“, stichelte der Mann ironisch. „Da bist du also wieder bei deinem spanischen Grafen, was? Und hast deinem guten alten Vater gar nichts davon gesagt. Und meinen Enkel hast du wohl auch vor mir verschwiegen“, beklagte sich Stephen Grey theatralisch. „Vielleicht sollte ich euch einen Besuch abstatten. Wenn ich jetzt urplötzlich aus dem Nichts auftauche … das wäre doch bestimmt peinlich, oder? Du hast eine Menge zu verlieren, Jem.“
„Ich habe kein Geld“, fauchte sie in die Muschel. „Und selbst wenn ich es hätte … ich würde dir nichts geben. Lass mich in Ruhe!“ Ohne eine Erwiderung abzuwarten, knallte sie den Hörer auf.
Nein, das würde nicht wieder von vorn anfangen! Dieses Mal würde sie sich nicht ins Bockshorn jagen lassen. Dieses Mal würde sie für sich einstehen und sich nicht von den Drohungen ihres Vaters einschüchtern lassen.
Doch in ihrem Hinterkopf rechnete sie bereits nach, wie viel von ihrem Sparkonto sie würde opfern müssen, um ihren Vater ruhig zu halten.
Sie hatte ein eigenes Leben für sich aufgebaut, und bestimmt nicht dank Stephen Grey. Er war ein bösartiger Mann, der auch nicht vor Gewalt zurückschreckte, er hatte nicht das geringste Recht, etwas von ihr zu verlangen. Aber ihr war klar, er würde wieder anrufen. Vor zwei Jahren hatte er sie auch terrorisiert. Sie hatte ihm Geld gegeben – viel Geld –, damit er wegblieb und den Mund hielt. Jetzt würde er darauf hoffen, dass sie wieder einknickte und den gleichen Fehler noch einmal beging.
Sie war nur in dieser Position, weil sie Alejandro zu Beginn ihrer Beziehung eine harmlose kleine Lüge erzählt hatte. Damals war es ihr sogar vernünftig vorgekommen, die hässliche Wahrheit zu verschleiern. Alejandro kam doch aus privilegierten Kreisen, da hatte sie ihm unmöglich gestehen können, dass sie aus einer Familie stammte, in der der Vater immer wieder Zeit im Gefängnis absaß und die Mutter sich mit Alkohol betäubte, um der Welt und einem Ehemann zu entfliehen, gegen den sie sich nicht wehren konnte.
Jemima fuhr nach Sevilla, parkte in der Tiefgarage des beeindruckenden Bürogebäudes, in dem Alejandros Unternehmenszentrale lag, und fuhr mit dem Aufzug zu seinem Büro hinauf. Dort allerdings erfuhr sie von der Empfangssekretärin, dass er noch in einer Konferenz saß. Ob sie nicht in der Lobby warten wolle?
Sie hatte es sich gerade auf einem der Sofas in der Sitzecke gemütlich gemacht, als einer von Alejandros Managern vorbeikam, sie erkannte und freundlich grüßte. Sie begannen ein lockeres Gespräch, und schon bald gesellten sich noch weitere Kollegen dazu.
Hochzufrieden, einen profitablen Vertrag ausgehandelt und abgeschlossen zu haben, begleitete Alejandro Anwälte und Geschäftspartner zum Ausgang und sah seine Frau beim Empfang von einer kleinen Gruppe Männer umringt. Sie wirkt wie ein Magnet, dachte er dumpf und presste die Lippen
Weitere Kostenlose Bücher